Rassistischer Brandanschlag 25 Jahre nach Solingen: Merkel warnt vor rechten Tabubrüchen

Solingen · Der Solinger Brandanschlag mit fünf Toten schockierte vor 25 Jahren weit über Deutschland hinaus. In Düsseldorf und Solingen wurde am Dienstag der türkischstämmigen Opfer gedacht. Auch heute drohe Gefahr von rechts, warnt Kanzlerin Merkel.

 Die Särge der fünf Opfer des Brandanschlages von Solingen vor dem ausgebrannten Haus. In der Nacht zum 29. Mai 1993 zündeten vier rechtsradikale Männer das Haus der Familie Genc an. Fünf Familienmitglieder starben.

Die Särge der fünf Opfer des Brandanschlages von Solingen vor dem ausgebrannten Haus. In der Nacht zum 29. Mai 1993 zündeten vier rechtsradikale Männer das Haus der Familie Genc an. Fünf Familienmitglieder starben.

Foto: Franz-Peter Tschauner

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat 25 Jahre nach dem ausländerfeindlichen Brandanschlag von Solingen vor Tabubrüchen von Rechtspopulisten gewarnt.

Sie könnten in neue Gewalt ausarten, sagte Merkel am Dienstag bei einer Gedenkfeier in der Staatskanzlei in Düsseldorf. Rechtsextremismus gehöre keineswegs der Vergangenheit an.

"Zu oft werden die Grenzen der Meinungsfreiheit sehr kalkuliert ausgetestet und Tabubrüche leichtfertig als politisches Instrument eingesetzt", betonte die Kanzlerin, ohne die rechtspopulistische AfD zu nennen. Dies sei ein Spiel mit dem Feuer: "Denn wer mit Worten Gewalt sät, nimmt zumindest billigend in Kauf, dass auch Gewalt geerntet wird."

Menschen würden angefeindet und angegriffen, weil sie Asylbewerber oder Flüchtlinge seien oder weil sie dafür gehalten würden, sagte Merkel im Beisein des türkischen Außenministers Mevlüt Cavusoglu. "Solche Gewalttaten sind beschämend. Sie sind eine Schande für unser Land."

Die 75-jährige Mevlüde Genc, die bei dem Anschlag zwei Töchter, zwei Enkelinnen und eine Nichte verloren hatte, rief eindringlich zur Versöhnung auf. "Lasst uns zum Guten nach vorne schauen", sagte sie bei der Gedenkveranstaltung. "Dem Hass muss Einhalt geboten werden."

In der Nacht des 29. Mai 1993 hatten vier rechtsradikale Männer das Haus der türkischstämmigen Familie Genc in Solingen angezündet. Fünf Frauen und Mädchen starben. Der Brandanschlag gilt als eines der schwersten ausländerfeindlichen Verbrechen in der Geschichte der Bundesrepublik und ließ damals in vielen Ländern Europas Ängste vor einem Wiedererstarken des Rechtsextremismus im gerade vereinigten Deutschland aufkommen. Die Männer, die 1995 wegen Mordes verurteilt wurden, sind nach abgesessener Strafe wieder frei.

NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) bezeichnete den Anschlag als "das schrecklichste Ereignis in der Geschichte des Landes Nordrhein-Westfalen". Genc betonte, sie sei Teil beider Staaten, nicht nur eines Landes. "Ich bin in der Türkei geboren und in Deutschland satt geworden", sagte die 75-Jährige weiter. Sie trage keine Rache, keinen Hass gegen andere Menschen in sich. "Ausgenommen die vier Personen, die mein Heim zu einem Grab machten." Genc hatte sich immer wieder öffentlich für Versöhnung ausgesprochen. Dafür dankte die Kanzlerin ihr ausdrücklich: "Auf eine unmenschliche Tat haben Sie mit menschlicher Größe reagiert. Dafür bewundern wir Sie und dafür danken wir Ihnen."

Der türkische Außenminister rief dazu auf, weiter an der Integration zu arbeiten. Aus der Politik dürften keine "ausgrenzende Botschaften" kommen. Mit seiner Teilnahme an der Gedenkveranstaltung wolle er eine gemeinsame Botschaft des Zusammenhaltes gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit aussenden, sagte Cavusoglu nach einer Übersetzung des Senders "Phoenix". Er wies zudem auf die Mordserie der rechten Terrorgruppe NSU hin und sprach sich dafür aus, die Hintergründe insgesamt auszuleuchten.

Die anschließende Gedenkfeier in Solingen wurde wegen eines heftigen Gewitters abgebrochen. Außenminister Heiko Maas (SPD) und der türkische Außenminister konnten dadurch ihre Rede nicht mehr halten. Nach dem vorbereiteten und freigegebenen Text hatte er zu mehr Zivilcourage aufrufen wollen. "Äußern wir uns, wenn wir miterleben, dass Menschen wegen ihrer Herkunft im Beruf benachteiligt werden!", appellierte er. "Mischen wir uns ein, wenn Diskussionen im Familien- und Freundeskreis in dumpfe Ressentiments abgleiten!"

Auch die Türkische Gemeinde in Deutschland (TGD) mahnte ein breites Bündnis gegen Fremdenfeindlichkeit an. "Rechtspopulistische Argumente bestimmen mittlerweile wieder den öffentlichen Diskurs, wenn es um Flucht und Migration geht", sagte der TGD-Vorsitzende Gökay Sofuoglu in Berlin. Raushalten und Schweigen sei zu wenig. Man habe Mevlüde Genc (75) offenbar "nie richtig zugehört". Sie hatte schon kurz nach dem Anschlag zu Versöhnung und Freundschaft aufgerufen.

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