Nach dem Fall Niklas Pöhler Bonn knüpft Netzwerk gegen Gewalt

Bonn · Die Stadt Bonn entwickelt derzeit mit der Universität Marburg ein Präventionskonzept gegen Gewalt. Während die Verwaltung eine positive Zwischenbilanz zieht, gibt es Sorgen wegen zunehmender Messerangriffe durch Jugendliche und junge Männer.

 Auslöser für das Präventionsprojekt war die tödliche Attacke auf den 17-jährigen Niklas in Bad Godesberg.

Auslöser für das Präventionsprojekt war die tödliche Attacke auf den 17-jährigen Niklas in Bad Godesberg.

Foto: dpa

Die Stadt Bonn schärft ihren Blick auf Gewalt unter Kindern und Jugendlichen und entwickelt mit der Universität Marburg ein Präventionskonzept. Nach einem Jahr fällt die Zwischenbilanz seitens der Stadt positiv aus.

So weise Bonn mit Blick auf Jugendgewalt im Vergleich zu anderen Städten keine besonderen Auffälligkeiten auf, der Schwerpunkt liege deshalb auf der Vorbeugung. Zugleich wurde Bonn im Zusammenhang mit Gewaltkriminalität zuletzt in einem Atemzug mit deutlich größeren Städten genannt. Im kommenden Juli soll das Konzept Politikern und Verwaltung vorgelegt werden.

Initiative

Es war der gewaltsame Tod des Jugendlichen Niklas Pöhler im Mai 2016 in der Bad Godesberger Innenstadt, der den Ausschlag gab. Ein frühes Ergebnis des seinerzeit eingerichteten „Runden Tisches gegen Gewalt“ sei die Entwicklung eines Gewaltpräventionskonzeptes für die ganze Stadt Bonn gewesen, erklärt Jugendamtsleiter Udo Stein, dessen Amt dabei die Federführung hat. Die Maßnahme ziele sowohl auf physische als auch auf psychische Gewalt. Gefragt nach „bestehenden Lücken in der gewaltpräventiven Arbeit“, auf welche die Stadtverwaltung selbst verwiesen hatte, erläutert Udo Stein, es gebe in Bonn bereits eine „beeindruckende Vielzahl“ von Akteuren und Initiativen, die – wie sich in der Untersuchung gezeigt habe – allerdings „nicht immer miteinander abgestimmt“ seien.

Kooperationen

Mit im Boot sind neben der Uni Marburg und dem Jugendamt auch das Schulamt und die Bonner Polizei. Zudem wurden bei einer Online-Befragung rund 750 Organisationen und Institutionen zur Teilnahme eingeladen – von Kindergärten und Schulen bis hin zu Kirchen und Jugendtreffs. Ergänzend wurden Hintergrundgespräche mit verschiedenen Einrichtungen geführt. Gerade die bessere Vernetzung ist es, um die es den Initiatoren offenbar geht. „Nur gemeinsam kann Gewaltprävention gelingen“, sagt Oberbürgermeister Ashok Sridharan. In Bad Godesberg und Medinghoven fanden zudem Stadtteilbegehungen mit Jugendlichen und Erwachsenen statt, um dort etwas über das subjektive Sicherheitsempfinden zu erfahren. Dass es die Begehungen gerade in jenen Vierteln gab, erklärt die Verwaltung damit, dass sie sich hier mit „laufenden Stadtplanungsprozessen“ verknüpfen ließen.

Statistik

Laut Udo Stein konnten nach den vorliegenden Zwischenergebnissen für Bonn - auch im Vergleich zu anderen Städten - „keine besonderen Auffälligkeiten“ festgestellt werden. So schienen die Fallzahlen in den vergangenen Jahren rückläufig zu sein und dem Bundestrend zu folgen. In der polizeilichen Kriminalstatistik lag der Anteil der unter 21-Jährigen (3136 Personen) unter allen Tatverdächtigen (also nicht nur bei Gewaltdelikten) zuletzt bei knapp 22 Prozent. Rückläufige Zahlen werden auch auf Landesebene gemeldet. Laut NRW-Justizministerium ist die Zahl der verurteilten 14- bis 18-jährigen jugendlichen Gewalttäter im Zehn-Jahres-Vergleich (2006 bis 2016) von 3423 auf 1049 und damit um mehr als zwei Drittel gesunken. Sorgen bereiten den Behörden die Intensivtäter. Für sie, so NRW-Justizminister Peter Biesenbach, würde ein „breiter Instrumentenkoffer“ benötigt.

Doch die Zahlen der polizeilichen Kriminalstatistik für NRW lassen sich auch anders lesen. Ihr war zuletzt ein Anstieg der Straftaten an Schulen in NRW von 25.596 (2015) auf 27.541 Fälle zu entnehmen; die Zahl der Körperverletzungen stieg um mehr als 400 Fälle (2017: 4343). Auch die Lehrerverbände melden eine steigende Zahl von Fällen, in denen Lehrer angegriffen, beschimpft, bedroht oder beleidigt werden.

Messerangriffe

Unterdessen warnen die beiden großen Polizeigewerkschaften vor immer mehr Messerattacken durch junge Männer und Jugendliche und stellen dabei unisono einen Zusammenhang zur Zuwanderung her. Die SPD im Düsseldorfer Landtag ließ derweil die Pressemitteilungen der Polizei auswerten und stellte dabei fest, dass es in Bonn allein im halben Jahr zwischen September 2017 und März 2018 33 Messerattacken gegeben habe. Altersgruppen wurde dabei nicht gesondert aufgeschlüsselt. In der Auswertung findet sich die Bundesstadt auf Augenhöhe mit ungleich größeren Städten wie Köln (39), Dortmund (31), Essen (34), Düsseldorf (32) oder Duisburg (44) wieder.

Anders als bei Schusswaffengebrauch werden Messerattacken in der polizeilichen Kriminalstatistik bislang nicht gesondert ausgewertet – es sei denn, es handelt sich um einen Angriff gegen Polizisten. Mit dem kommenden Jahr soll sich das jedoch ändern, sagt Simon Rott von der Bonner Polizei auf Anfrage. Von 2019 an würden auch die eingesetzten Tatwerkzeuge statistisch erfasst. Die Bonner Polizei ist seit vielen Jahren mit vorbeugenden Angeboten zur Gewaltprävention an Schulen unterwegs. Zudem gibt es landesweite Initiativen, die speziell auf potenzielle Intensivtäter („Kurve kriegen“) und für Migranten („Klarkommen“) zugeschnitten sind.

Dunkelfeld

Ein weiteres Problem ist das so genannte Dunkelfeld: Viele Übergriffe durch Jugendliche werden gar nicht bekannt, weil die Opfer aus Angst schweigen. In zufällig ausgewählten Schulen werden Bonner Neuntklässler nun anonym zu persönlichen Erfahrungen befragt. Auch das ist Teil des Präventionskonzeptes.

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