Analyse: Obama sucht Weg aus der Syrien-Krise

Washington · Nach Tagen, die auch für ihn kaum verwirrender sein konnten, fängt US-Präsident Barack Obama erstmal ganz von vorne an.

Obama wirbt zugleich für einen Militärschlag und um Geduld für einen diplomatischen Versuch. Viele Fragen bleiben offen. Foto: Michael Reynolds

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Für seine Rede an die Nation stellt er sich im prächtigen East Room des Weißen Hauses ans Rednerpult und erklärt den Bürgern an den Fernsehschirmen: "Heute Abend möchte ich mit Ihnen über Syrien sprechen."

Mit verständnissuchendem Blick erzählt er von dem Chemiewaffenmassaker am 21. August in dem Bürgerkriegsland. "Männer, Frauen, Kinder, die in Reihen liegen, getötet mit Giftgas, Schaum am Mund, um Luft ringend".

Nach längerer Einführung kommt er zur Sache: Ein Militärschlag sei geboten, verkündet Obama. Sonst werde das Regime von Machthaber Assad keinen Grund sehen, sich von seinen Chemiewaffen zu trennen. Kurz und präzise soll der Schlag sein, ohne Bodentruppen. Aber auch nicht harmlos: "Das US-Militär macht keine Nadelstiche. Selbst ein eingeschränkter Schlag sendet eine Nachricht, die keine andere Nation liefern kann."

Neu ist an dieser Beschreibung seiner Pläne nichts. Aber das sagt Obama seinem Publikum erst im zweiten Teil der Rede. Nachdem sich die Ereignisse in den letzten 24 Stunden überschlagen haben, wirkt die zweite Hälfte seiner Rede wie nachträglich angeklebt.

"Ermutigende Zeichen" für eine friedliche Lösung seien in Sicht, prophezeit der Mann im dunkelblauen Anzug. Ausgerechnet mit Kremlchef Wladimir Putin, der Obama zuletzt in der Affäre um den Spionage-Enthüller Edward Snowden hatte abblitzen lassen, will er einen Weg aus der Syrien-Frage suchen. Schon am Donnerstag soll Außenminister John Kerry nach Genf reisen, um mit seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow darauf hinzuarbeiten, dass Machthaber Baschar al-Assad sein Chemiewaffen-Arsenal ohne einen Einsatz des US-Militärs aufgibt.

Bald wird klar: Der Präsident fährt nach dem Zickzack-Kurs der vergangenen Tage zweigleisig. Diplomatie soll nun Hand in Hand gehen mit den Drohgebärden. Die US-Kriegsschiffe in der Region können auf Befehl des "Commander in Chief" sofort losschlagen. Zwar habe er den Kongress gebeten, die Abstimmung über den Militärschlag vorerst auf Eis zu legen. So ganz hat Obama den Finger damit noch nicht vom Abzug genommen. Alles dürfte davon abhängen, ob das zähe Ringen am Verhandlungstisch in den nächsten Tagen Erfolge bringt. Auch der Präsident muss seinem Volk eingestehen: "Es ist zu früh, um zu sagen, dass dieses Angebot zum Erfolg führt."

Wie lange dieses "vorerst" dauert, wie weit der diplomatische Weg ist, lässt Obama offen. Dass er offensichtlich gar keine Mehrheit für einen Truppeneinsatz im Kongress hat, deutet er in der 16 Minuten langen Rede hintergründig an. Und was passiert, wenn die erst seit Montag möglich scheinende diplomatische Lösung wie Soufflé zusammenfällt? Schlägt er dennoch zu, auch ohne Zustimmung durch den Kongress? Wartet er eine erneute Debatte der Parlamentarier ab?

Mehr Fragen als Antworten habe Obama geliefert, heißt es in Kommentaren. "Die Rede hat mich nicht wirklich überzeugt", sagt Rand Paul, Republikaner und entschiedener Gegner eines Angriffs. Doch die Doppelstrategie scheint der einzige Weg aus dem Dilemma zu sein, eine seit Tagen geplante Rede an die Nation halten zu müssen, während sich die politische Gemengelage fast im Stundentakt ändert.

Ein Quäntchen Hoffnung gibt es, dass Obamas Worte am Vorabend des 11. September den Wind zumindest im Inland zu seinen Gunsten gedreht haben könnten. 61 Prozent der Amerikaner sagten laut einer Blitzumfrage von CNN, dass sie Obamas neuen Ansatz unterstützen. Zuvor hatten die Umfragewerte klar gegen den Präsidenten und seinen Entschluss gestanden, Syrien militärisch zu attackieren.

Doch auch nach der Rede an die Nation stehen schwierige Tage bevor. Die Kritik seiner Gegner kam prompt. Er sei "sehr enttäuscht", dass Obama die syrischen Rebellen in seiner Rede nicht erwähnt habe, bekrittelte der einflussreiche Republikaner John McCain gegenüber der Webseite "Politico". Diese fühlten sich vom Westen nun "sitzengelassen". Die Chancen für eine diplomatische Lösung lägen "deutlich unter 50 Prozent", sagte der demokratische Senator Bob Casey gegenüber CNN. Und kaum einem US-Politiker ist lieb, dass die nächsten Schritte der USA jetzt ausgerechnet von Putin und Assad abhängen.

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Bob Casey auf CNN