Digitalisierung Auf dem Weg in die digitale Zukunft

Bonn · Die Digitalisierung eröffnet Chancen für Deutschland - wenn wir uns darauf einlassen. Zwei Experten aus Bonn berichten.

Dass Mika Baumeister einen Faible für Technik hat, kann man problemlos an seinem Zimmer ablesen. Morgens lässt er sich über Amazons smarten Lautsprecher "Echo" von der integrierten Sprachassistentin Alexa wecken. Statt mit klassischen Lichtschaltern ist das etwa 14 Quadratmeter große WG-Zimmer mit drei kleinen weißen Tastern am Eingang, am Bett und am Schreibtisch ausgestattet, die per Wlan die Deckenleuchte ansteuern. Einmal berühren sorgt für gedimmtes Licht, zweimal für maximale Beleuchtung.

Im Bad kommt Baumeister ohne Schalter aus: Ein Bewegungsmelder aktiviert beim Eintreten die Beleuchtung. Bevor er die Wohnung verlässt, fragt Baumeister noch nach dem Wetter. "Alexa, muss ich heute einen Schirm mitnehmen?" Der LED-Ring an der Oberkante des zylindrischen Lautsprechers leuchtet kurz auf. "Heute liegt die Regenwahrscheinlichkeit bei fünf Prozent", antwortet die Roboterstimme.

Bei strahlendem Sonnenschein marschiert Baumeister los Richtung Stockenstraße. Sein Ziel: The 9th. Der nach Beethovens Meisterwerk benannte Gründercampus bietet Start-ups und anderen Kreativen Platz zum Arbeiten und Austauschen. In Bonn eine von vielen innovativen Ecken: Quer über den Rhein arbeitet das von der Landesregierung geförderte Digital Hub und vermittelt neben Kontakten und Wissen auch Finanzierungsmodelle für Start-ups.

Es tut sich was im Land. Immer mehr Menschen wird klar, wie wichtig der offene Umgang mit Digitalisierung ist - auch, damit Soziale Marktwirtschaft in diesem Umfeld funktioniert: Die digitale Transformation bringt grundlegende Veränderungen mit sich, die das gesellschaftliche Leben und die Wirtschaft in Deutschland herausfordern. Klar ist: Um die Chancen der Digitalisierung zu nutzen, reicht schnelles Internet allein wohl nicht aus.

Smart-Home-Technologien erleichtern den Alltag

Im lichtdurchfluteten Eingangsbereich des 9th sitzen um die Mittagszeit eine Hand voll Leute an einem großen Tisch, allesamt über Laptops gebeugt und in ihre Projekte vertieft. Seine Lampen könnte er per Smartphone-App auch von hier aus steuern, erklärt Baumeister, während er auf einem bequemen weißen Ledersofa im hinteren Teil Platz nimmt. Fan von Smart Home-Technologien ist er, weil sie praktisch und zeitsparend sind. "Würde ich jedes Mal aufstehen müssen, um das Hauptlicht auszumachen, da hätte ich gar keine Lust drauf", berichtet der Technikjournalismus-Student lachend.

Heute trägt er smarte Turnschuhe, die jede Bewegung seiner Füße genaustens registrieren und die Daten an eine weitere App aufs Handy schicken. Rund 3400 Schritte ist er an diesem Tag bisher gelaufen. Baumeister ist selbsterklärter Prosumer: neuste Technik muss er sofort selbst ausprobieren. "Sinnvoll ist dieses Fitnesstracking für mich als derzeit Nichtsportler nicht", sagt der 22-Jährige - aber ganz sinnlos sei es auch nicht. Das Stichwort lautet Gamification. Dabei würden Elemente aus Videospielen wie Ranglisten und Abzeichen in anderen Kontexten verwendet. "Gamification zielt darauf ab, dass Leute durch digitale Belohnung mehr machen", erklärt Baumeister. China wolle mit dieser Methode ein System aufbauen, mit dem es seine Bürger nach ihrem "sozialen Kredit" bewerten kann.

Frank Thelen: Digitalisierung verändert alles

Knapp fünf Kilometer Luftlinie entfernt läuft Frank Thelen in seinem Büro am Bonner Bogen auf und ab. Vom Sitz seiner Beteiligungsfirma Freigeist Capital im vierten Stock eines der modernen, mit viel Glas verkleideten Neubauten in der Joseph-Schumpeter-Allee hat man beste Aussicht auf den Rhein. Davon lässt er sich allerdings nicht ablenken; seine Konzentration gilt seinem Smartphone. Eine Firma, die aktuell in mehr als 15 Start-ups gleichzeitig investiert hat, organisiert sich nicht von allein.

Zwischen dem Telefonat und dem nächsten Termin bleibt Zeit für ein Gespräch über sein Steckenpferd. "Die große Chance der Digitalisierung ist zunächst, dass alles das, was digital werden kann, digital wird", erklärt Thelen, der seine Beteiligung an Start-ups unter anderem an Microsoft und Daimler verkauft hat. "Wenn wir es richtig machen, wird sich unser gesamtes Leben durch Digitalisierung verbessern", sagt der Unternehmer. Beispiel: nicht mehr im Stau stehen. Daran arbeitet eines seiner Start-ups, Lilium Aviation. Ziel ist es, ein Flugzeug zu entwickeln, das vertikal starten kann, keine Emissionen ausstößt und günstiger zu betreiben ist als ein Auto. Möglich sei das dem kleinen Team auch durch neue Produktionsmechanismen wie 3D-Druck, Cloud-Computing und Künstliche Intelligenz, die mit der Digitalisierung aufkamen.

"Am Ende kriegen die Konsumenten geilere Produkte", resümiert Thelen knapp. Doch nicht nur das: "Künstliche Intelligenz wird bald sehr viele Dinge besser machen: Autofahren, Krebs erkennen... Damit leben wir auch sicherer." Die einstige Utopie, dass Maschinen für den Menschen arbeiteten, stehe kurz vor der Vollendung. Der springende Punkt sei aber, Digitalisierung "richtig zu machen", betont der 42-Jährige. Verwaltungsmitarbeiter, Taxifahrer, Texter, Ärzte - Ängste vor Jobverlust durch Automatisierung seien durchaus berechtigt.

Angst darf in der Debatte nicht den Ton angeben

Der technische Fortschritt ist in den Augen des "Höhle der Löwen"-Jurors unaufhaltsam. "Die Digitalisierung der Zukunft kommt", sagt er energisch, mit den Fingern auf den Holztisch vor ihm klopfend. Momentan sei Deutschland dabei aber "absolut irrelevant". Die US-Tech-Giganten Google, Apple, Facebook und Amazon bedienten alle Märkte bis auf den chinesischen, den wiederum die landeseigenen Unternehmen Baidu, Alibaba und Tencent anführen würden.

"Heutzutage ist Deutschland durch Bedenkenträger und Angst ins Hintertreffen geraten. Das Schlimmste, was passieren kann, ist, dass die Chinesen unsere Zukunft gestalten." Thelens Losung: "Wir müssen aktiv gestalten." Gelegenheit gebe es reichlich, da die Digitalisierung noch in den Kinderschuhen stecke. Quantencomputer, Künstliche Intelligenz, Blockchain und andere Technologien, Transport und Energie - "Wir haben viele Bereiche, die sich radikal durch Digitalisierung verändern werden. Wir müssen uns als Deutschland darauf fokussieren, in einem oder zwei dieser Bereiche den Weltmarktführer aufzubauen."

Unendlich Zeit bleibe nicht. "Bei technischen Plattformen wird die Macht und der unfaire Vorteil jeden Tag größer. Entscheidend ist: Wer hat alle Kunden?", erklärt der gebürtige Bonner. Die Google-Suche habe mit jeder Anfrage dazugelernt und sei jetzt so gut, dass niemand mehr eine andere Suchmaschine benutze. Einen solchen Vorteil müsse Deutschland sich frühzeitig in einem der neuen Bereiche verschaffen. Letztlich betreffe das nicht nur Politik und Wirtschaft. "Befasst euch damit und bildet euch eine Meinung", appelliert der Unternehmer an die Bürger. "Denn Digitalisierung, das sind alle, das sind wir und wir müssen etwas damit machen."

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