dpa-Interview Außenminister Maas: "Unsere Verantwortung wächst"

Berlin · Klimawandel, Frauen und Sicherheit, humanitäre Hilfe und Rüstungskontrolle: Das sind die Schwerpunkte Deutschlands für die Mitgliedschaft im UN-Sicherheitsrat. Am Ende wird aber vor allem zählen, wie man sich in akuten Krisensituation verhält.

 Außenminister Heiko Maas in einem Interview im Auswärtigen Amt mit Journalisten der Deutschen Presse-Agentur.

Außenminister Heiko Maas in einem Interview im Auswärtigen Amt mit Journalisten der Deutschen Presse-Agentur.

Foto: Kay Nietfeld

Deutschland zieht am 1. Januar für 24 Monate in den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ein. Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) berichtet im Interview der Deutschen Presse-Agentur, was er im wichtigsten Gremium der UN vorhat.

Frage: Welche Themen haben Sie sich vorgenommen?

Antwort: Es geht zunächst einmal um konkrete Krisen- und Konfliktbewältigung - etwa mit Blick auf die Lage in Syrien, den Krieg im Jemen und den Konflikt in der Ostukraine. Wir werden versuchen, politische Lösungen entschieden voranzubringen. Darüber hinaus haben wir uns für vier Schwerpunktthemen entschieden. Zum einen das Thema Klimawandel und Sicherheit. Klimaveränderungen führen weltweit immer mehr zu Sicherheitsproblemen. Wir werden zweitens das Thema Frauen, Frieden und Sicherheit auf die Tagesordnung setzen. Wir wollen die Rolle von Frauen bei der Lösung von Konflikten stärken sowie Frauen und Mädchen besser schützen. Und wir wollen die humanitären Helfer stärken und besser schützen, von denen in den letzten Jahren viele im Einsatz verletzt oder ums Leben gekommen sind. Viertens wollen wir Abrüstung und Rüstungskontrolle vorantreiben.

Frage: Beim Thema atomare Rüstung sind wir ja wieder auf dem Weg zurück in den Kalten Krieg. Einer der wichtigsten Abrüstungsverträge - der INF-Vertrag über das Verbot atomarer Mittelstreckenraketen - ist in Gefahr. Müssen wir jetzt damit rechnen, dass solche Waffen wieder in Deutschland stationiert werden?

Antwort: Nukleare Aufrüstung ist ganz sicher die falsche Antwort. Die Nachrüstungslogik stammt aus dem Kalten Krieg. Der liegt Jahrzehnte zurück. Die Politik aus den 80er Jahren hilft nicht, um die Fragen von heute zu beantworten. Eine Stationierung neuer Mittelstreckenraketen würde in Deutschland auf breiten Widerstand stoßen. Europa darf auf gar keinen Fall zum Schauplatz einer Aufrüstungsdebatte werden. Die internationale Staatengemeinschaft - nicht nur die USA und Russland - muss es schaffen, eine neue Rüstungskontrollarchitektur zu entwickeln. Diese sollte nicht nur nukleare Waffen beinhalten, sondern auch moderne autonome Waffensysteme, die völlig außerhalb menschlicher Kontrolle töten, wie zum Beispiel Killer-Roboter. Für deren Ächtung wird sich Deutschland einsetzen.

Frage: Was ist denn aus Ihrer Sicht im Moment die beunruhigende Krise?

Antwort: Da gibt es leider einige, aber besondere Sorgen macht uns die Situation im Nahen und Mittleren Osten, mit Syrien, dem Jemen und dem Ringen um eine Nahostfriedenslösung. In der Region gibt es eine Kumulation von Krisen und Konflikten. Wir werden uns dort noch mehr engagieren, als wir es ohnehin schon getan haben. Und wir werden auch im Sicherheitsrat sehr klar für diplomatische Lösungen eintreten. Wir rücken durch die Mitgliedschaft im Sicherheitsrat politisch noch näher an die Krisen und Konflikte heran. Unsere Stimme wird im Sicherheitsrat noch mehr Gewicht bekommen. Wir werden uns auch vor schwierigen Entscheidungen nicht wegducken können.

Frage: Es wird ja nun seit vielen Jahren darüber diskutiert, wie viel Verantwortung Deutschland in der Welt übernehmen soll. Ist es aus Ihrer Sicht jetzt schon genug?

Antwort: Ich glaube, dass unsere Verantwortung wächst. Die Erwartungen an uns sind so groß wie wohl noch nie. Wir nehmen jetzt schon massiv Verantwortung wahr. Deutschland ist weltweit der zweitgrößte staatliche Geber humanitärer Hilfe. Aber umso mehr sich alte Partner aus der internationalen Zusammenarbeit zurückziehen, desto mehr richten sich die Augen auch auf uns. Wir müssen dazu bereit sein, mit aller Entschlossenheit für internationale Zusammenarbeit einzutreten. Nur gemeinsam können wir die großen globalen Herausforderungen wie Klimawandel, Digitalisierung oder Migration bewältigen.

Frage: Wie sieht es mit militärischer Verantwortung aus?

Antwort: Auch die übernehmen wir: Die Bundeswehr ist an zahlreichen internationalen Einätzen beteiligt. Aber: Ich glaube, wir müssen da klare Prioritäten setzen. Die Kapazitäten der Bundeswehr müssen wir generell immer so einsetzen, dass sie nicht überfordert wird.

Frage: Wird Deutschland auch als Mitglied des Sicherheitsrats noch Nein sagen können, wenn es etwa um eine Beteiligung an militärischen Vergeltungsschlägen für mögliche Chemieangriffe in Syrien geht?

Antwort: Bei solchen Aktionen bedarf es aus guten Gründen eines Mandats des Bundestags. Entscheidend wird also in jedem Einzelfall sein, ob es im Bundestag eine Mehrheit dafür gibt. Und im Übrigen sollte man immer auch einen Blick darauf haben, welche Rolle wir im jeweiligen Konflikt spielen. Es gibt eine ganze Reihe von Krisen, in denen wir eine vermittelnde Rolle spielen. Da kann es dann klüger sein, Zurückhaltung zu bewahren, um nicht aus dieser Position herauszukommen. Ganz grundsätzlich ist klar: Deutschland muss - auch aufgrund seiner historischen Verantwortung - immer Friedensstifter sein.

Frage: Es gibt es zwei ständige europäische Mitglieder im Sicherheitsrat - Frankreich und Großbritannien -, die gemessen an Bevölkerung und Wirtschaftskraft kleiner sind als Deutschland - das nur vorübergehend in das Gremium darf. Ist das eigentlich gerecht?

Antwort: Die Zusammensetzung des Sicherheitsrats ist jedenfalls nicht mehr zeitgemäß. Ich glaube, dass die Kräfteverhältnisse auf der Welt deutlich besser abgebildet werden müssten, als das im Moment der Fall ist. Deshalb halte ich es auch für vernünftig, diese Linie weiter zu verfolgen - gemeinsam mit anderen, die aufgrund ihres Gewichtes international genauso berechtigt permanente Mitglieder des Sicherheitsrats sein müssten. Deshalb bemühen wir uns ja auch zusammen insbesondere mit Japan, Brasilien und Indien um einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat.

Frage: Das versucht man jetzt schon sehr lange, etwa 20 Jahre, ohne Erfolg...

Antwort: Die Mehrheit der UN-Mitglieder ist dafür. Auch wenn es schwer wird, wir werden nicht müde werden, das Thema auf die Tagesordnung zu setzen. Es wird viel zu lange schon über Reformen geredet, ohne dass man in irgendeiner Weise vorankommt.

Frage: Sie streben eine Allianz der Multilateralisten an. Wird sich die Initiative bald konkretisieren?

Antwort: Wir wollen im ersten Drittel des nächsten Jahres weitere Schritte machen. Es gibt ganz viele, die sich auf diese Initiative hin auch bei uns gemeldet haben. Wir wollen aber kein neues Verhandlungsformat gründen, sondern eher ein Netzwerk, in dem wir uns besser in internationalen Organisationen abstimmen können. Internationale Lösungen sind heute massiv bedroht von Nationalismus und Populismus. Allein die Idee, globale Herausforderungen ließen sich aussperren und auf nationaler Ebene lösen, ist gefährlich naiv. Dem müssen wir aktiv etwas entgegensetzen und das wollen wir auch in dieser Allianz tun.

ZUR PERSON: Heiko Maas (52) ist Saarländer, SPD-Politiker und seit März deutscher Außenminister. "Ich bin wegen Auschwitz in die Politik gegangen." Mit diesem Satz ist er in sein Amt gestartet und hat mit einer harten Haltung gegenüber Russland, der Forderung nach einer neuen US-Politik und der Idee einer Allianz der Multilateralisten Akzente gesetzt. Mit der Mitgliedschaft Deutschlands im UN-Sicherheitsrat kommen nun neue Herausforderungen auf ihn zu. Anfang des Jahres will er so schnell wie möglich nach New York, um an einer Sitzung teilzunehmen.

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