Erste Synagoge im Kreis Ahrweiler Bethaus, Schmiede, Kulturzentrum

NIEDERZISSEN · Zwei Daten markieren das gewaltsame Ende der jüdischen Gemeinde Niederzissen. In der Nacht zum 10. November 1938 überfielen SA-Leute die Synagoge, zerstörten Eingangstür und Inventar und warfen die Thorarollen auf die Straße. Die Gemeinde hörte auf zu existieren, als die ansässigen Juden nach Jahren der Verfolgung 1942 in Konzentrationslager deportiert wurden.

Gut 100 Jahre zuvor aber, am 3. September 1841, hatten die Gemeindeangehörigen ihre neue Synagoge und die Einweihung durch den Oberrabbiner Aaron Auerbach aus Bonn gefeiert. Gewiss erfüllte sie freudige Erwartung. „Wer ein Haus baut, will bleiben, und wer bleiben will, erhofft sich Sicherheit“. Diese Einweihungsworte Salomon Korns für das jüdische Gemeindezentrum 1986 in Frankfurt/Main zitiert der Vorsitzende des Kultur- und Heimatvereins Niederzissen Richard Keuler mit Blick auf 175 Jahre jüdisches Kirchenhaus in Niederzissen, dessen Bestehen am 3. und 4. September festlich begangen wird.

1838 wurde das Grundstück an der Mittelstraße gekauft

Die Zunahme der jüdischen Einwohner in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts machte den Bau einer Synagoge notwendig. So erwarb die jüdische Gemeinde Niederzissen 1838 ein Grundstück in der heutigen Mittelstraße, wo sie das Gotteshaus errichtete. Nach und nach kauften Juden die Häuser rund um den kleinen Saalbau mit Satteldach und Rundbogenfenstern, weshalb man um 1890 von der „Jüddegass“ sprach. Zur Erbauungszeit der Synagoge zählten zum Synagogenbezirk Niederzissen 43 Familien aus Niederzissen, Oberzissen, Niederdürenbach, Burgbrohl, Wehr, Glees und Kempenich. Die ebenfalls zugehörigen Orte Königsfeld und Dedenbach schieden 1848 aus den Verband aus.

Neben der Synagoge stand das Schulhaus, in dem auch der Synagogendiener wohnte. Dahinter befand sich die Mikwe (das Ritualbad). Vor dieser ersten eigentlichen Synagoge im Kreis Ahrweiler hatte es gleichwohl Betstuben im heutigen Kreisgebiet gegeben, auch in Niederzissen, wo Juden erstmals 1580 urkundlich erwähnt werden. Ab 1684/85 nennen die Olbrücker Kellereirechnungen solche Einrichtungen. So gab es 1763 eine Zimmersynagoge beim Juden Isaak neben der Kirche. Zur der Zeit bestand auch schon der jüdische Friedhof.

Viele jüdische Einwohner waren nach der Machtergreifung 1933 wegen des wirtschaftlichen Boykotts und der zunehmenden Entrechtung weggezogen oder ausgewandert. Auf staatlichen Druck verkauften die verbliebenen Gemeindemitglieder die geschändete Synagoge. Käufer war ein Schmied aus dem Ort. Er baute das Gebäude um und nutzte es bis Anfang der 1990er-Jahre als Schmiede. Nach langem Leerstand kaufte es die Gemeinde auf Initiative des 2007 gegründeten und von Richard Keuler geleiteten Kultur- und Heimatvereins. Den Weg dorthin bezeichnen Keuler und seine gleichfalls engagierte Lebensgefährtin Gisela Reichrath als „steinig, holprig, mühsam“. Ein Bürgerbegehren im Sommer 2009 erwirkte, dass der Gemeinderat, nach einer bereits erfolgten Ablehnung, neu über den Ankauf beraten musste. Schlussendlich beschloss der Rat den Erwerb und die Gemeinde plante umgehend die Restaurierung sowie Umbauten.

Vor Baubeginn im Januar 2011 jedoch bargen Vereinsmitglieder einen kulturhistorischen Schatz. Jahrzehnte hatten Schriftenbündel, Thorafragmente, Briefe, Handelsverträge oder Beschneidungstücher in Staub und Taubendreck auf dem Dachboden überdauert. Es handelte sich um eine Genisa, Ablageort der nach jüdischer Tradition gehüteten unbrauchbar gewordenen religiösen Gegenstände.

Eröffnung nach Renovierung im März 2012

Der grundlegenden Renovierung der ehemaligen Synagoge zu einem öffentlichen Kulturraum für Konzerte und Ausstellungen sowie einer Erinnerungsstätte jüdischen Lebens folgte im März 2012 die Eröffnung. Larry Friedman aus San Diego übergab eine Holocaust-Gedenktafel „Never again“ der Künstlerin Steffi Friedman, seiner Mutter. Ebenfalls aus San Diego reiste Harvey Berger an, Enkel des letzten Vorstehers der jüdischen Gemeinde Niederzissen, Karl Berger. Er dankte auch Brunhilde Stürmer, die sich seit langem das Gedenken an die lokale jüdische Geschichte wachhält.

Im früheren Werkstattanbau erläutert das professionell eingerichtete jüdische Museum (nächste Öffnungstermine 11. September, Tag des offenen Denkmals, 11 bis 18 Uhr, 2. Oktober und 20. November) die Synagogengeschichte, jüdisches Lebens einst und heute und gedenkt der deportierten Juden der Gemeinde.

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