28 Internatsschüler missbraucht

BONN · Am Collegium Josephinum Bonn (CoJoBo) und einem weiteren Internat des Redemptoristenordens hat es offenbar bis in die 80er Jahre mehr Missbrauchsfälle gegeben, als bisher bekannt war.

Das geht aus einem neuen Bericht hervor, den Hermann-Josef Merzbach, Direktor des Amtsgerichtes Leverkusen, im Auftrag des katholischen Ordens erarbeitet hat. Merzbach hält die Schilderungen der Betroffenen für sehr glaubwürdig. "28 ehemalige Internatsschüler sind Opfer sexuellen Missbrauchs geworden", schreibt der Richter.

Sechzehn Patres würden körperliche Übergriffe vorgeworfen: "Bei neun von ihnen ist der Vorwurf gesichert, die ihnen anvertrauten Jugendlichen missbraucht und damit ein Verbrechen begangen zu haben." Hinzu kämen Fälle körperlicher Misshandlung. Die Schüler hätten "lang andauernde schwerste Beeinträchtigungen ihrer körperlichen und seelischen Unversehrtheit" erlitten. Manche seien heute noch in Therapie.

Es geht um Taten aus der Zeit von 1949 bis 1968, "vereinzelt bis in die achtziger Jahre", heißt es im Bericht. Tatorte: hauptsächlich die Internate des CoJoBo und der Ordensschule in Glanerbrück (bei Gronau). Alle Taten seien juristisch verjährt, so Merzbach, die meisten der Patres gestorben.

Der Orden hatte den Richter 2010 mit der Untersuchung beauftragt. Nachdem er im Sommer 2010 einen ersten Bericht vorgelegt hatte, stieg er tiefer ein: Nach "anfänglichem Zögern", schreibt er, half der Orden bei der aktiven Suche nach ehemaligen Schülern.

89 meldeten sich bei Merzbach, mit 63 sprach er persönlich. "Es gab unmissverständliche Beschreibungen schlimmsten sexuellen Missbrauchs", berichtet der Beauftragte, "ebenso wie Darstellungen von Züchtigungen im Übermaß, aber auch Hinweise, dass Ehemalige die Zeit in den Internaten als schön erlebt haben." Der Richter recherchierte zudem im Ordensarchiv.

Einer der gravierendsten Fälle: Ein Mann berichtete, er sei als Elfjähriger in einem CoJoBo-Schlafraum mehrfach missbraucht worden - einmal von zwei Männern gleichzeitig. Ein weiterer Fall: Ein ehemaliger Präfekt des Internats soll mehrere Schutzbefohlene "systematisch und massiv" missbraucht haben. Merzbach zufolge mussten sie den Pater befriedigen und ihm "einschlägige Hefte" beschaffen.

"Perfides System von Lohn und Strafe"

Der Geistliche habe ein "perfides System von Lohn und Strafe" installiert und Schüler als Spitzel benutzt. Die Opfer hätten keinen Ausweg gesehen. Prügelpädagogik, ein Klima von Angst und Abhängigkeit, Sexualität als Tabuthema, Patres, die ihre Autorität missbrauchten - das ist laut Merzbach der rote Faden in allen Fällen. Und wenn doch ein Opfer redete, wurde die Öffentlichkeit "um jeden Preis vermieden und vertuscht, wo es ging".

Als Präventionsmaßnahme für die Zukunft empfiehlt der Jurist, Verdachtsmomente "offen zu legen und zu verfolgen". Es sei Transparenz gefragt. Das meint auch der Bremer Informatik-Professor Dieter Viefhues, der von einer "schrecklichen Missbrauchstradition" spricht . Er wurde nach eigenen Angaben von einem Pater in Glanerbrück missbraucht. Vor dem Hintergrund der Vergangenheit müsse der Orden offensiv mit den aktuellen Vorwürfen gegen zwei CoJoBo-Patres umgehen, fordert Viefhues.

Der Professor gehört zu einer Gruppe von Opfern, die sich am vorigen Wochenende zum dritten Gespräch mit Ordensprovinzial Johannes Römelt traf. "Diese Treffen setzen wir im Herbst fort", erklärt Ordenssprecher Ulrich Behlau. Die Aufarbeitung gehe weiter. Der Merzbach-Bericht solle auf der Internetseite des Ordens veröffentlicht werden, sobald alle Patres informiert seien.

Staatsanwaltschaft prüft Vorwürfe: Am Collegium Josephinum stehen zwei Patres in der Kritik, weil sie erkrankten Schülern des Gymnasiums Zäpfchen verabreicht haben. Gegen einen der Männer hat eine Mutter Strafanzeige erstattet: Er soll ihrem Sohn (damals elf) vor drei Jahren, ein Zäpfchen gegeben haben, ohne die Eltern zu informieren. Als vor einigen Wochen eine Diskussion um das Thema aufkam, informierte der Junge seine Eltern. Schüler berichteten zudem, der angezeigte Pater gebe den Jungen gelegentlich "einen Klaps auf den Hintern". Die Staatsanwaltschaft prüft die Vorwürfe. Der Redemptoristenorden hat eine externe Beauftragte eingeschaltet. Die Schulaufsicht in der Bezirksregierung Köln prüft ebenfalls.

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