Familie Martin in Bonn Abschied von einem todgeweihten Baby

BONN · Vita Karolina gehört noch heute zur Familie. Vor mehr als zwei Jahren haben Barbara und Thomas Martin sowie ihre Töchter Selma, Maire und Lene die kleine Vita Karolina zu Grabe getragen. Die Puppen, die die Jüngsten damals neben Vita gelegt hatten, gäben sie noch heute kaum aus der Hand, berichtet der Vater.

"Wir haben seither einen Engel in der Familie", meint die Mutter. Dabei ist dies keine normale gelungene Trauerarbeit: Denn Barbara Martin hat Vita trotz deren früh erkannter schwerer Fehlbildung ausgetragen und fünf Tage nach dem errechneten Termin natürlich geboren: Der kleine Engel war noch im Mutterleib kurz zuvor friedlich gestorben.

"Hier, das sind wir sechs, am Tag nach Vitas Geburt", zeigt Thomas Martin ein bewegendes Foto. Umrahmt von ihrer lächelnden Familie liegt Vita in den Armen ihrer Mutter. Die fünfjährige Selma reicht dem verstorbenen Schwesterchen, das wie sie im rotweißen Ringellook gekleidet ist, zärtlich die Hand.

Eine von der ganzen Familie getragene Entscheidung für das Leben sei das damals gewesen, die sie aus heutiger Sicht wieder so gefällt hätten, sagt Thomas Martin. Bei einer frühen Untersuchung seiner Frau hatte sich herausgestellt, dass der Fötus unter Trisomie 18, einer weit gravierenderen Schädigung als das Down-Syndrom. Sie bedeutete schwerste Schäden an Herz- Kreislauf, Motorik, Sinnen und Intellekt.

80 Prozent solcher Kinder stürben noch vor der Geburt, lebend Geborene würden kaum älter als ein Jahr, hätten ihnen die Ärzte der Universitätsklinik erklärt, so Thomas Martin. Sie hätten einen Schwangerschaftsabbruch ins Spiel gebracht. "Trotzdem zeigte sich unser Kind im Ultraschall so lebhaft und hatte beste Untersuchungswerte, dass wir entschieden: Unsere Tochter soll leben."

Darauf habe die Uniklinik mit ihnen modernste geburts- und intensivmedizinische Verfahren, aber auch alternative Palliativversorgung diskutiert. Die Martins sind bis heute dankbar für die sensible Beratung und die Bereitschaft, jeden Weg verständnisvoll mit ihnen zu gehen. "Wie hätten wir unserer Tochter, die sich pudelwohl im Mutterleib fühlte, den Ort nehmen können, an dem sie ihr kurzes Leben lang geborgen sein konnte?", erklärt der Vater.

Thomas Martin ist aktiver Ehrenamtlicher beim Hospizverein Bonn, also in der Sterbebegleitung Alter und Kranker seit Jahren engagiert. Vita sollte also im Leben und Sterben von den Ärzten und Hebammen nur bestmöglich palliativ begleitet werden.

Die Uniklinik hatte der Familie versprochen, dass das Baby während der Schwangerschaft oder der Geburt nicht werde leiden müssen. Alle möglichen Geburtsszenarien hatte Barbara Martin mit den Medizinern durchgesprochen.

"Es war eine Zeit zahlloser Fragen und Antworten. Und wir bekamen alle Zeit der Welt dafür", ist Thomas Martin auch im Rückblick dankbar. 90 Prozent werdender Eltern entscheiden sich in einem solchen Fall für den Abbruch. Nicht so die Martins. Die sich zudem schlau gemacht hatten, dass sie als Eltern ihr totes Kind über mehrere Tage ungestört bei sich haben durften.

"Wir hatten immer das Gefühl: Egal, wie es laufen würde, wir konnten unser Kind bekommen und uns dann würdig von ihm verabschieden." Im Nachhinein sei ihnen bestätigt worden, dass die schwere Form der Trisomie 18 Vita auch im Falle einer Lebendgeburt bald zum Tod geführt hätte. Ihr kurzes Leben habe sich die Kleine aber auf jeden Fall allergrößter Geborgenheit sicher sein können.

Die Erinnerungen an die Tage nach der Todgeburt, in denen auch die großen Schwestern den Engel in aller Ruhe kennen lernen und gleichzeitig Abschied nehmen konnten, seien bis heute fest ins Gedächtnis der Familie geprägt, sagt Thomas Martin.

Und dann zeigen die Eltern anrührende Fotos der Beerdigung. Die Erinnerungen sind noch so frisch, als habe Vita gerade erst in ihren Armen gelegen. Ganz friedlich sieht man den Familienengel zwischen den Trauernden liegen.

"Es war ein Fest für Vita Karolina", sagen die Martins und berichten von Begegnungen mit Menschen, die ihnen seither zu ihrer damaligen Entscheidung gratuliert hätten. "Jemand schrieb uns kürzlich: Ihr Umgang mit Vita zeigt, welche Geheimnisse und Kräfte sich enthüllen können, wenn ein Lebensschicksal die Chance erhält, sich frei zu entfalten."

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort