Architekt baut historische Substanz aus

BONN · GA-Serie: Wohnen in Bonn. George Hoitz demonstriert, wie man den knappen Raum in Innenstädten optimal ausschöpft.

 Mehr als viermal soviel Nutzfläche wurden in dem Haus an der Thomas-Mann-Straße nach dem Umbau geschaffen.

Mehr als viermal soviel Nutzfläche wurden in dem Haus an der Thomas-Mann-Straße nach dem Umbau geschaffen.

Foto: Cem Akalin

Das schmucke Haus an der Thomas-Mann-Straße war wohl Mitte des 19. Jahrhunderts von einem Medizinalrat erbaut worden. Offensichtlich gehörte er zu den eher nüchternen Zeitgenossen, denn verspielter Stuck findet sich kaum an der Fassade.

Über dem Eingang ein paar Ornamente, die Fensterbögen im Obergeschoss ein wenig hervorgehoben: Das war's. Die gut 180 Quadratmeter Wohnfläche wurden in den vergangenen Jahren überwiegend als Kanzlei genutzt. Jetzt hat der Eigentümer das Haus mitten im Herzen Bonns sanieren und ausbauen lassen.

"Bauen im Bestand" nennt es der Architekt George Hoitz, der nebenan wohnt. Seine Spezialität: den knappen Raum in der verdichteten Innenstadt optimal nutzen. Seine Bauherren sind Bodo Knobloch und Holger Burggräf. "Bauen im Bestand bedeutet für mich, das Bestehende zu pflegen, weiterzuentwickeln, wenn möglich auch sinnvoll zu erweitern", erklärt Hoitz. "Ich kann kein Grünland versiegeln. Die Substanz liegt in den Orten und Städten. Aber die Spekulanten in ihrer Gier, die selten vom Fach sind, bauen immer neue Ghettos im Grünen."

Das denkmalgeschützte, spätklassizistische Haus aus dem Jahr 1856 hat nach der Umbaumaßnahme die viereinhalbfache Nutzfläche: aus 180 Quadratmeter sind 841 Quadratmeter geworden. Wie geht das? Hoitz: "Eben durch Pflege, Entwicklung und Erweiterung. Das erlaubt, oder besser fordert der Bebauungsplan. Die Beachtung der Möglichkeiten der Bebauung nutzt nicht nur dem Bauherren sondern auch dem Gemeinwesen, also uns, der Stadt."

Raum im Dach optimal ausgenutzt

Bei einem Rundgang durchs Haus erläutert Hoitz sein Konzept. Neben den üblichen Sanierungsarbeiten am Bestand - unter anderem wurden nachträglich eingezogene Zwischendecken wieder rausgerissen, Originaltüren aufbereitet und eingesetzt, und auch die Fassade erhielt einen neuen Anstrich - hat der Architekt den Raum im Dach optimal ausgenutzt.

Das war nicht ganz einfach: Im Speicher lagerten zwei Dachstühle mit alter Eindeckung. Nun befindet sich dort unter anderem ein lichtdurchflutetes Studio von rund 75 Quadratmetern Größe mit Luxusbad, und der Blick fällt von dort auf die schöne Fassadenfront auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Mit einer Schiebewand aus Buchenholz lässt sich der Raum teilen. Was oben auffällt, ist die enorme Breite des Mauerwerks: 42 Zentimeter dick sind die Wände - preußisches Maß, wie Hoitz erklärt.

Eine Perle des alten Hauses ist die aufgearbeitete Eichentreppe. Um alle Umbauten überhaupt realisieren zu können, musste diese komplett um rund 20 Zentimeter angehoben werden. "Im Krieg war eine Bombe in der Nachbarschaft gefallen, was dieses Haus etwas absacken ließ. Das mussten wir jetzt wieder auffangen", erklärt Hoitz. Mit einem ausgeklügelten System wurde die Treppe über Gurte angehoben und dann fixiert.

Und es geht noch ein Geschoss weiter hinauf: in einen großen Raum mit eingebauter Holzgalerie. Der Clou aber ist der Kubus, der auf der Rückseite angesetzt wurde. Die Lochfassade ist an die entlang des Florentiusgrabens übliche angepasst. Durch eine Glasüberdachung zwischen Alt- und Anbau ist ein Patio entstanden. Der Blick aus dem Kubus fällt auf den Garten, den eine 150 Jahre alte Kastanie beherrscht.

Und Hoitz ist mit seinem Projekt noch nicht am Ende. Denn die Bauherren haben vor, vom Florentiusgraben aus eine Tiefgarage zu bauen und darauf einen weiteren modernen Kubus zu setzen. "Es gilt, die vorhandene Substanz zu nutzen und an die Urbanität anzuknüpfen. Das ist auch praktizierter Klimaschutz", ist Hoitz überzeugt.

"Wir nutzen die vorhandene Infrastruktur unserer urbanen Stadt damit vierfach. Alles Notwendige ist vorhanden, man kann hier alles kaufen und zu Fuß erreichen: Bahnhof, Nahverkehr, Ämter, Schulen, Krankenhäuser, Kirchen, Geschäfte, Gaststätten und Kneipen." Und auch die Erschließung sei vorhanden: Straßen, Straßenbeleuchtung, Bürgersteig, Kanal, Strom, Wasser, Gas, Fernwärme, Medien - "und die Entsorgung kommt sowieso", meint der Architekt.

Eine wachsende Stadt auf engem Raum: Unsere Serie befasst sich im nächsten Teil mit geplanten Baugebieten im Stadtgebiet. Welche Neubausiedlungen befinden sich in welchem Planungsstadium? Wann kann der erste Bagger anrollen?

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