Wallfahrt auf den Kreuzberg Auf Knien die Heilige Stiege hinauf

BONN · Brauchtum lässt sich nicht einfach exportieren. Wer wüsste das besser als der Rheinländer, dessen Liebe zum Karneval schon wenige Kilometer vom Rhein entfernt bloß für Kopfschütteln sorgt.

 Die Heilige Stiege am gestrigen Karfreitag: Sie symbolisiert die Treppe im Palast des Pilatus, die "Scala Sancta", die Jesus vor seiner Verurteilung hinaufsteigen musste. Kleine Messingkreuze auf der 2., 11. und 28. Stufe markieren die Blutstropfen Christi.

Die Heilige Stiege am gestrigen Karfreitag: Sie symbolisiert die Treppe im Palast des Pilatus, die "Scala Sancta", die Jesus vor seiner Verurteilung hinaufsteigen musste. Kleine Messingkreuze auf der 2., 11. und 28. Stufe markieren die Blutstropfen Christi.

Foto: Barbara Frommann

"Ganz typisch für Bräuche ist der sehr enge lokale Bezug. Bräuche sind eine Symbolsprache, die eine Gruppe zusammenhält", sagt Dagmar Hänel, Volkskundlerin am LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte in Bonn.

Und diese Sprache versteht man eben nicht überall. Als Peter Kunze vor einigen Jahren das Kohlenschlagen aus dem thüringischen Schlotheim an den Rhein exportierte, da war schon nach zwei, drei Jahren Schluss. Beim Kohlenschlagen laufen die Teilnehmer über die Felder und schlagen mit einem Stock eine Holzkugel.

"In Thüringen ist das jedes Jahr eine Riesengaudi, das gibt es nur in Schlotheim", sagt Kunze. Und gespielt wird es an Karfreitag. Aber in Bonn wollte dieser Brauch nicht Fuß fassen. Bräuche, die man nur an Karfreitag oder zu Ostern praktiziert, gibt es aber auch in Bonn. Einzigartig ist laut Hänel unter anderem die Wallfahrt auf den Kreuzberg.

Wallfahrten zu Kreuzwegen an Karfreitag sind weit verbreitet, in Bonn gibt es aber eine Besonderheit: Nur an Karfreitag wird die barocke Heilige Stiege von Balthasar Neumann an der Kreuzkirche geöffnet. "Die Gläubigen gehen dort an Karfreitag auf den Knien nach oben", sagt Hänel. Es gehe darum, das Leid Christi nachzuvollziehen, um sich auf Ostern vorzubereiten. "Dieser Brauch ist selten, ich persönlich kenne das sonst noch aus Passau", sagt die Volkskundlerin.

Andere Bräuche verschwinden, kommen aber wieder. Das sogenannte Karklappern könnte laut Hänel so ein Brauch sein. "Früher schwiegen die Kirchenglocken in der Karwoche. Um die Gläubigen zum Gottesdienst zu rufen, gingen die Menschen in der Zeit mit Holzklappern durch das Dorf." Mit dem Bedeutungsverlust der Kirche ging dieser Brauch verloren. "Aber das kommt wieder", sagt die Volkskundlerin. Sie habe es vor einem Jahr in Dransdorf erlebt. "Da fuhren die Kinder mit Rollschuhen und auf Fahrrädern durch den Ort und klapperten." Warum die Renaissance dieses Brauchs? "Wir beobachten solche Entwicklungen seit rund zehn Jahren. Offensichtlich sind vielen Menschen Symbole und Rituale wichtig", sagt Hänel.

Ein Brauch, der insbesondere in und rund um Beuel verbreitet ist, sind die sogenannten Eierkronen. Halt, mag der Lokalpatriot jetzt rufen, Eierkronen hängt man an Pfingsten auf, nicht zu Ostern. Stimmt. Aber: Was feiern die Christen zu Pfingsten? Diese Frage dürften heutzutage nicht jeder beantworten können. Und laut Hänel kann dies ein Grund dafür sein, warum Eierkronen zunehmend auch an Ostern zu finden sind. "Pfingsten verliert seine religiöse Bedeutung, es ist noch abstrakter als das Osterfest und viele verstehen es gar nicht mehr. Aber das Wort Brauchtum kommt von ,Brauchen', man begeht Bräuche, weil sie eine Bedeutung haben."

Wenn sie ihre Bedeutung verlieren, gehen sie verloren. Und wenn man die Bedeutung des Pfingstfestes nicht mehr richtig einschätzen kann, warum dann den Brauch, massenhaft Eier auszublasen und diese zu einer riesigen Krone zusammenzustecken, nicht auf ein Fest vorverlegen, an dem sich sowieso alles ums Ei dreht. "Wenn Wissen über etwas verloren geht, dann werden Bräuche verschiebbar", sagt Hänel. Und manchmal seien dabei auch ganz pragmatische Gründe ausschlaggebend.

Überhaupt seien Bräuche nicht immer symbolisch überhöht zu betrachten, oft liege ihnen ein ganz einfacher Pragmatismus zugrunde. Zum Beispiel der Eierkronen-Brauch: Man trifft sich, sammelt Eier, bläst sie gemeinsam aus, verspeist gegebenenfalls den Inhalt bei einem großen Rührei-Essen und bastelt gemeinsam etwas aus den Schalen.

"Das ist einer der vielen Junggesellenbräuche, die bis ins frühe 20. Jahrhundert insbesondere im ländlichen Raum sehr wichtig waren", weiß Hänel. Und manchmal ist der Hintergrund ganz einfach: Es geht darum, ein Fest zu feiern, bei dem man Mädchen treffen kann.

Andere Bräuche, so zum Beispiel der, an Gründonnerstag etwas Grünes zu essen, seien eher verspielt oder auf ein Missverständnis zurückzuführen. "Mit Grün hat das eigentlich nichts zu tun, sondern mit dem mittelhochdeutschen ,Greinen' für Weinen", sagt Hänel. "Aber auch das kann man natürlich mit Bedeutung aufladen", so die Volkskundlerin.

So stehe die Farbe Grün auch für Frühling, Aufbruch, neues Leben. "Das ist ja das Schöne an Bräuchen, man kann sie mit Bedeutung aufladen." Wenn Bräuche sich ändern, verloren gehen oder durch Neues ersetzt werden, sei das im übrigen nicht "schlimm", meint Hänel. "Es ist lediglich ein Zeichen dafür, dass die Gesellschaft sich ändert."

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