Aus dem Traum ist endlich Realität geworden

"Amaryllis - Mehrgenerationenwohnen" hat auf Genossenschaftsbasis im Wohnpark Vilich-Müldorf gebaut

Aus dem Traum ist endlich Realität geworden
Foto: Malsch

Vilich-Müldorf. Als Silke und Gerd Gross die ersten Pläne für ihr neues Lebensmodell entwarfen, da besuchten ihre beiden Kinder noch die Grundschule. Mittlerweile haben die jungen Damen ihr Abitur in der Tasche: Sie sind längst aus dem elterlichen Haus ausgeflogen.

13 Jahre später ist das Lebenskonzept in die Tat umgesetzt worden. Nach vielen Gesprächen und Verhandlungen ist aus dem Traum Realität geworden: "Amaryllis - Mehrgenerationenwohnen" heißt die Initiative, die auf Genossenschaftsbasis im Wohnpark Vilich-Müldorf gebaut hat.

Mit 18 anderen Parteien sind die 53-jährige Silke Gross und ihr 59-jähriger Mann in diesen Tagen in ihr Domizil eingezogen. 13 weitere Familien und Singles werden im Laufe des Dezembers ihre Wohnungen beziehen.

Dann leben 46 Menschen in dem aus drei Gebäudekomplexen bestehenden Wohnprojekt. Das älteste Amaryllis-Mitglied ist Mitte 80, das jüngste gerade erst geboren worden. 20 Kinder leben in dem Wohnprojekt. Die zweieinhalbgeschossigen Gebäude sind über Laubengänge miteinander verbunden.

Im dritten Gebäude, das noch in der Schlussbauphase ist, werden neben sechs Altenwohnungen - mit Gemeinschaftsküchen und Essräumen auf den Etagen - auch der Gemeinschaftsraum, Gästezimmer, eine Küche, Toiletten sowie ein Zeitungsraum mit Bibliothek eingerichtet.

Bodo Frömgen-Siebenmorgen vom Architekturbüro Alte Windkant aus Herzogenrath entwirft schon seit 20 Jahren Häuser für Gruppenprojekte, aber solch ein großes hatte er bisher noch nicht. Alle individuelle Wünsche unter einen Hut zu bringen, war nicht ganz einfach - meint er, dafür aber "spannend".

Denn jede Einheit ist individuell zugeschnitten. Dabei musste der Architekt darauf achten, dass die Vorstellungen nicht zu exotisch ausfielen. Was Amaryllis als Wohn- und Lebensform so ungewöhnlich macht, ist das Statut. Amaryllis ist zwar ein eingetragener Verein, aber die Organisationsform ist eine Genossenschaft.

Das relativ komplizierte Verfahren ist "auch Teil unseres Lebensmodells", erklärt Klemens Roloff, 57, der den Ausschuss Öffentlichkeitsarbeit leitet: "Menschen unterschiedlicher Alters- und Lebensphasen wohnen und leben miteinander in selbstbestimmter, sozial verantwortlicher und verbindlicher Nachbarschaft."

So sehr die Gemeinschaft auch groß geschrieben wird, Rückzug und Privatsphäre sollen aber ebenso respektiert werden. "Wir bekommen fast täglich Anfragen von Leuten, die mitmachen wollen", so Gross.

"Es gibt ein großes Interesse an solchen Wohnformen. Wir hoffen, dass wir mit unserem Projekt andere anstoßen, Ähnliches zu realisieren." Margret, 41, und Zdenko Varnus, 48, haben vor zwei Jahren Ausschau nach einem "sozial und ökologisch ausgerichteten Wohnprojekt" gehalten und stießen auf eine Anzeige.

Schon nach dem ersten Treffen mit den damaligen Amaryllis-Mitgliedern stand für das Paar, das einen zwölfjährigen Sohn und eine 17 Monate alte Tochter hat, fest, dass das Mehrgenerationenwohnen ihren Vorstellungen eines "nachbarschaftlichen und zwischenmenschlichen Lebens" sehr nahe kam.

Die junge Familie, die damals in Troisdorf lebte, machte sich erst mal Gedanken über die Finanzierung - so wie es jeder Häuslebauer auch tut. Doch das genossenschaftliche Prinzip sieht anders aus: "Man steckt Geld rein, hat aber doch kein Eigentum", fasst Varnus erste skeptische Überlegungen zusammen.

Für Ingrid Willeke war das mit ein Grund, warum sie ihr Haus in Soest aufgab und nach Beuel zog. "Als Alleinlebende wollte ich in eine Uni-Stadt mit Kulturangebot ziehen", erzählt sie. Bonn, so fand sie schnell heraus, bietet auch jede Menge Aktivitäten für Ältere.

Die 68-Jährige ist als begeisterte Schwimmerin Mitglied der SSF, sie treibt viel Sport, macht gerne Fahrradtouren, ist als Gasthörerin an der Uni eingeschrieben und nutzt das breite Kulturangebot. Aber sie legte bei ihrer Suche nach einer Alternative auch Wert auf ein "soziales Umfeld".

Und das Genossenschaftsmodell gefiel ihr von allen Projekten, die sie sich im Köln-Bonner Raum angeschaut hat, am besten: "Ich muss nicht so viel Kapital einbringen wie in eine Immobilie, die ich erwerbe. Und man trägt Verantwortung fürs Ganze." Gut findet sie auch den Solidarfonds, mit dem man die, die nicht so viel Geld haben, unterstützt.

Klemens Roloff und seine Frau Angela Helfer haben sich ruckzuck eingelebt in die neue Umgebung. "Das tolle ist doch, dass man alle seine Nachbarn schon kennt", so Roloff. "Jetzt sind wir alle gespannt, wie die Gemeinschaft zusammenwächst."

Die Genossenschaft

[t]Jeder zahlt ein sogenanntes Eintrittsgeld in Höhe von 100 Euro. Darüber hinaus erwirbt jede Partei Pflichtanteile an der Genossenschaft für etwa 5 000 Euro. Schließlich muss jeder einen weiteren Anteil kaufen, der sich nach der Größe des Wohnraums richtet.

Außerdem zahlen alle Bewohner eine Miete: Pro Quadratmeter sind für reguläre Mitglieder acht Euro, für Inhaber eines Wohnberechtigungsscheins 4,80 Euro (jeweils zuzüglich Nebenkosten) fällig.

Sind die Baukosten nach etwa 30 Jahren abgezahlt, entfallen die Mieten jedoch nicht, sie werden vielmehr in Instandsetzung und Modernisierung gesteckt. Bei diesem Konzept wird also nicht ein späteres privates Eigentum finanziert.

Die Immobilie gehört weiterhin der Genossenschaft. Ein Bewohner kann seine Mitgliedschaft jederzeit kündigen und seinen Genossenschaftsanteil lediglich "übertragen". Im Todesfall geht das Geschäftsguthaben, also der gezahlte Anteil an der Genossenschaft, auf die Erben des Verstorbenen über.

Auszeichnung

Obwohl noch nicht mal alle "Amaryllis-Genossen" eingezogen sind, ist das Projekt schon ausgezeichnet worden: Zusammen mit der Robert-Jungk-Stiftung und dem Städte-Netzwerk NRW vergibt das Ministerium für Generationen, Familie, Frauen und Integration jährlich den Robert-Jungk-Preis als Zukunftspreis für bürgerschaftliches Engagement in Nordrhein-Westfalen.

Der diesjährige Wettbewerb stand unter dem Thema "Mit Engagement den demografischen Wandel gestalten". Auf sechs Projekte und Organisationen entfiel das mit der Auszeichnung verbundene Preisgeld von je 2 500 Euro.

Unter den 25 Initiativen, die die Nominierung fürs Finale schafften, wurde die Amaryllis eG für ihr Mehrgenerationen-Wohnprojekt beim Robert-Jungk-Preis 2007 als "Zukunftsprojekt" ausgezeichnet.

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