GA-Serie „Ruhestand 4.0“ Ursula Lehr ist auch im Alter noch aktiv

Serie | Bad Godesberg. · Auch im Alter von 89 Jahren ist die Forscherin und Politikerin Ursula Lehr eine gefragte Referentin. Die frühere Bundesfamilienministerin setzt sich für eine aktive Beteiligung von Senioren in der Gesellschaft ein.

Die frühere Bundesfamilienministerin Ursula Lehr wirbt bei Senioren darum, sich aktiv gesellschaftlich zu beteiligen.

Die frühere Bundesfamilienministerin Ursula Lehr wirbt bei Senioren darum, sich aktiv gesellschaftlich zu beteiligen.

Foto: BAGSO/Sachs

Ach, sagt Ursula Lehr, gerade bei älteren Menschen berge die Corona-Krisenzeit die Gefahr, zu Hause zu sitzen und in die Langeweile hineinzurutschen. Die 89-jährige Professorin für Gerontologie und ehemalige Bundesfamilienministerin hält kurz inne. Deshalb hoffe sie, dass ihre Altersgenossen gerade jetzt ihre Kontakte per Telefon, Mail und Briefpost aktivieren. „Ich selbst erhalte laufend Anrufe auch von Jüngeren, die im Homeoffice sitzen“, berichtet Lehr lächelnd.

Die Einschätzungen der international bekannten Altersforscherin sind immer noch gefragt. Sie wäre eigentlich weiterhin im Schnitt drei Tage die Woche in der gesamten Republik zu Vorträgen, Diskussionen und Sitzungen unterwegs, sagt Lehr und schaut ihre nächsten Termine durch. Da stünde der Kongress in Berlin über den demografischen Wandel an, zu dem sie hingeflogen wäre. Und in Aachen hätte der Beirat der Initiative Generationsbrücke Deutschland auf ihre Expertise gewartet. „Alles wohl abgesagt.“ Lehr zuckt mit den Achseln.

Powerfrau aus dem Villenviertel

Wie man als knapp 90-Jährige den wohl verdienten Ruhestand mit ganzer Freude zum Unruhestand machen kann, dafür ist die Powerfrau aus dem Villenviertel in normalen Zeiten selbst das beste Beispiel. „Mit Vorträgen zum Leben in einer Welt des Wandels reise ich in der Republik herum, auch wenn ich mittlerweile stark gehbehindert bin“, berichtet Lehr. 

Nach einer komplizierten Oberschenkelhalsfraktur und Operation im vergangenen Jahr ist sie auf eine Krücke angewiesen. „Bis 88 ging alles glatt.“ Aber man müsse auch Rückschläge akzeptieren – und sich wieder aufrappeln. Ein Rollator? Wäre Lehr viel zu umständlich. Sie bestelle sich eben am Flughafen oder Bahnhof ein Taxi und komme überall hin, meint sie entschlossen. Und verweist auf ihren letzten Auftritt im badischen Wiesloch, wo sie als einstige Gründerin des Gerontologischen Instituts der Universität Heidelberg ein Heimspiel bestritt.

Mit viel Gymnastik auf die Beine kommen

Nach der Operation 2019 habe man ihr Papiere gegeben, mit denen sie eine Pflegestufe hätte beantragen sollen, erzählt Lehr dann kopfschüttelnd. Deren Vorteile habe man ihr alle schmackhaft machen wollen. Die Entrüstung steht Lehr immer noch in den Augen. Sie habe diesen Ratgebern geantwortet, das könne sie immer noch tun. Jetzt versuche sie erst einmal, mit viel Gymnastik wieder auf die Beine zu kommen. Was ihr auch gelungen sei. Und bald sei sie dann wieder auf Vortragsreise gegangen.

Gerne zeigt Lehr, die 2009 bis 2015 Vorsitzende des deutschen Senioren-Dachverbands war, ihre Powerpoint-Vorträge. Frisch und energisch pflegt sie die im leuchtfarbigen Sakko zugeschnitten aufs jeweilige Publikum zu halten: professionell und mit einem Dutzend Statistiken gespickt. Nach dem ebenso informativen wie unterhaltsamen Ritt durch die Forschung steht die 89-Jährige dann auch noch dem letzten Frager eloquent Rede und Antwort. „Es kommt nicht darauf an, wie alt man wird, sondern wie man alt wird“, ist eine Botschaft, die ihr locker über die Lippen kommt. „Es gilt, dem Leben nicht nur Jahre zu geben, sondern den Jahren Leben zu geben“, eine andere.

Der Tag beginnt um fünf Uhr morgens

Morgens um fünf Uhr beginnt die nimmermüde Professorin den Tag. „Ich hole für mich und die Nachbarin die Zeitung hoch.“ Nach einem Kaffee und einem Joghurt sieht sie ab 8 Uhr die ersten Nachrichten, liest Fachliteratur, recherchiert, bereitet Sitzungen vor, etwa die des Kuratoriums Stiftung Deutsche Altenhilfe.

Es freue sie, dass heute auch immer mehr Hochaltrige aktiv bleiben, sagt sie. Ihre Botschaften kämen also an. Wie sage man so schön? Der Mensch solle am besten so alt werden, dass er noch miterlebe, dass das, wofür er einst beschimpft wurde, endlich geschätzt wird. Sie erlebe das seit einigen Jahren mit Freude. Ein Beispiel: 1981 setzte Lehr als CDU-Familienministerin die Kindergarten-Eintrittsgrenze auf zwei Jahre herunter – und handelte sich wahre Proteststürme aus der eigenen Partei ein. „Und heute sind junge Familien sehr dankbar dafür.“

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