Massentierhaltung im Gründerzeithaus Karla Malin Kalwa und Alexander Wolf zeigen kritische Kunst

Villenviertel · Einfach nur gefällige Kunst zu zeigen, reicht Karla Malin Kalwa und Alexander Wolf nicht. Und so verwandeln sie ein derzeit leerstehendes Gründerzeithaus im Bad Godesberger Villenviertel in einen Ort, um über Sexismus, Rassismus und die Klimakrise nachzudenken.

 Die Vierecke hat Karla Malin Kalwa in der Villa auf den Boden geklebt, um zu zeigen, wie viel Platz einem Tier in der Massenhaltung bleibt. 

Die Vierecke hat Karla Malin Kalwa in der Villa auf den Boden geklebt, um zu zeigen, wie viel Platz einem Tier in der Massenhaltung bleibt. 

Foto: Axel Vogel

Die Idylle aus Terrazzoboden, Säulen und Stuckengeln bekommt schon im Erdgeschoss Risse. Im einstigen Gesellschaftszimmer des prächtigen Gründerzeithauses an der Kronprinzenstraße stören auf dem Boden Vierecke aus schwarzem Klebeband und in unterschiedlicher Größe den Blick. Karla Malin Kalwa hat sie reserviert für Schwein, Legehenne, Kuh und den Menschen, die in digitaler Malerei daneben hängen.

„Wir wollen uns in dieser Ausstellung mit gesellschaftlichen Problemen beschäftigen, das darf dann auch weh tun“, erzählt die Bonnerin. In diesem speziellen Fall also mit der Massentierhaltung, die den Lebewesen bekanntermaßen wenig Platz zugesteht. „Die Box und die Daten für den Menschen habe ich gemäß Haltungsstufe 1 runtergerechnet“, erzählt die 25-Jährige. Gut ein Quadratmeter und 16 Jahre Lebenserwartung blieben dem Homo Sapiens demnach.

Das Haus gehört der Familie der Künstlerin

Die Villa aus dem Jahr 1899, die noch für zwei Wochenenden zur Kunstbühne wird, gehört ihrer Familie seit vier Generationen. „Zum Schluss hat mein Opa ganz alleine hier gewohnt“, erzählt die Grafikdesignerin. Seit mehr als zwei Jahren saniert die Familie die 250 Quadratmeter in Eigenregie. „Ich hatte schon länger die Idee, hier meine erste Ausstellung umzusetzen, bevor das Wohnhaus wieder vermietet wird“, so Kalwa. Studiert hat sie Diplom-Kommunikationsdesign an der Rhein-Sieg-Akademie in Hennef, wo sie auf dem Schulhof Alexander Wolf kennenlernte. Der 28-Jährige aus dem Westerwald, der heute in Rotterdam lebt, machte seinen Abschluss drei Jahre vorher – aber die Freundschaft überdauerte die räumliche Trennung.

Unter dem gemeinsamen Motto „Consider me yours“ (Bezeichne mich als Deins) bespielt Wolf ebenfalls Räume. „Uns war von Anfang an klar, dass wir keine gefällige Kunst zeigen, sondern den Betrachter anregen wollen, sich damit auseinanderzusetzen“, sagt er beim Telefonat. Tatsächlich würden sich seine Werke weniger gut als Deko im Wohnzimmer eignen; er beschäftigt sich wie Kalwa mit Sexismus, Homophobie, Rassismus oder der Klimakrise. Mit letzterer beispielsweise in seiner Grabinszenierung mit abgeklebtem Kirchenfenster dahinter. „Humanity“ ist auf dem Holzkreuz zu lesen, was wahlweise für Menschlichkeit oder Menschheit stehen kann.

 Die Menschen schaufeln sich ihr eigenes Grab, wenn sie so weitermachen, will Alexander Wolf mit dieser Installation ausdrücken.

Die Menschen schaufeln sich ihr eigenes Grab, wenn sie so weitermachen, will Alexander Wolf mit dieser Installation ausdrücken.

Foto: Axel Vogel

Ein Grab für die Menschheit

Die Blumengestecke bestehen – akkurat arrangiert – aus Plastikbesteck und -tassen und sind als letzter Gruß von Mutter Erde sowie Flora und Fauna an die gerichtet, die sie zerstören: eben die Menschen. Ein bisschen Zeit kann noch genutzt werden: Das Sterbedatum ist 2050. „Bei der Vernissage kam das beleuchtete Grab sehr gut an, alle waren andächtig“, sagt Wolf, der sich wie Kalwa für die Ausstellung eher in Unkosten gestürzt hat, als dass er damit etwas verdient.

Ein klein wenig Erholung verspricht die Installation von Kalwa im Obergeschoss. Auch für die Künstlerin, die als begeisterte Downhill-Fahrerin hier die Auszeit nach einem schlimmen Sturz kreativ überbrückt hat – obwohl ihr dank Schlüsselbeinbruch nur ein Arm zur Verfügung stand. Zu sehen sind vier Stationen eines sportlichen Ausflugs mit Freunden inklusive Sprüngen, dargestellt in Matschspuren ihres Reifens. „Als ich hier im Haus mitgespachtelt habe, ist mir die Idee gekommen, als Basis einfach Gips statt teurer Gestaltungsmasse zu nehmen“, sagt die junge Frau, die in Kessenich wohnt.

Für die zehn Räume braucht es starke Nerven

Gegenüber geht’s um High Raten (Heiraten) und damit die Frage, wo man steht oder welche Beziehung man führt. Aber warum eigentlich immer englische Titel und Erklärungen neben den deutschen? „Wir sind beide sehr viel in Europa unterwegs, Englisch ist so etwas wie das verbindende Element“, sagt Kalwa, die wie Wolf auch fotografiert.

Fürs Dachgeschoss und damit die letzten der zehn Räume sind noch einmal starke Nerven gefragt. Und manchmal Selbstreflexion. Als beim Blick auf zunächst fröhliche bunte Kinderzeichnungen die Netflix-Hymne von links ertönt, ist das Leid, das dort in Form von Missbrauch oder Krieg gezeigt wird, wieder schnell aus dem Kopf. „Viele Themen werden noch mit spitzen Fingern angepackt, aber wir können nicht wegschauen“, meint Wolf dazu. Noch schlimmer kommt es danach, wo das Auge angesichts unzähliger Blätter mit Nachrichten kaum Halt findet. „Die Infoflut durch Twitter, Instagram und Facebook hat oft eine betäubende Wirkung“, so die 25-Jährige. Trotzdem sind sie natürlich selbst Teil jener Social-Media-Welt, wollen sie aber dazu nutzen, Probleme anzugehen. Die Bad Godesberger können den beiden ganz real folgen – vielleicht bei einer kurzen Unterbrechung des Wochenendspaziergangs im Villenviertel.

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