Bonner „Wissenschaftsmeile“ in Plittersdorf Nabel der deutschen Wissenschaftswelt

Plittersdorf · Die Museumsmeile ist allgemein bekannt, die Bonner „Wissenschaftsmeile“ – zumindest unter ihrem Namen – wohl weniger. Rund um Kennedyallee und Ahrstraße sitzen Organisationen, die Deutschlands Forschungs- und Wissenschaftskosmos prägen wie kaum andere.

 Von links: Michael Flacke (DAAD), Anke Fischer-Appelt (Wissenschaftszentrum), Christoph Hilgert (HRK) und Marco Finetti (DFG).

Von links: Michael Flacke (DAAD), Anke Fischer-Appelt (Wissenschaftszentrum), Christoph Hilgert (HRK) und Marco Finetti (DFG).

Foto: Simun Sustic

Die Museumsmeile dürfte vermutlich nahezu allen Menschen bekannt sein, die in Bonn leben. Den weniger bekannten Titel „Wissenschaftsmeile“ trägt ein Bereich der Kennedyallee in Plittersdorf unweit der Rheinaue. Zumindest ist der Name in die Haltestellen-Ansagen etwa der Stadtbahnlinie 63 integriert. An der Haltestelle „Hochkreuz“ ertönen zusätzlich zum Haltestellennamen die Zusätze „Deutsches Museum Bonn, Wissenschaftsmeile“.

Der GA hat sich umgesehen und mit Vertretern von Wissenschaftszentrum, Deutschem Akademischen Austauschdienst (DAAD), Deutscher Forschungsgemeinschaft (DFG) und Hochschulrektorenkonferenz (HRK) darüber gesprochen, was Bonns Wissenschaftsmeile auszeichnet.

Vor wenigen Jahren soll diese den inoffiziellen Namen erst erhalten haben, erzählt Marco Finetti, Sprecher der DFG. Die Rede ist vom westlichen Abschnitt der Kennedyallee sowie der angrenzenden Ahrstraße, wo die genannten Organisationen mit ihren insgesamt etwa 2.000 Mitarbeitenden sitzen. In direkter Nähe, nämlich an der Querung zur Godesberger Allee sowie zur Ludwig-Erhard-Allee, befinden sich darüber hinaus der Hochschullehrerbund sowie das Max-Planck-Institut für Neurobiologie des Verhaltens „caesar“.

Einige der Einrichtungen feierten kürzlich hundertjähriges Bestehen. In Plittersdorf gründeten sie sich nach Ende des Zweiten Weltkriegs neu, so wie etwa die DFG im Jahr 1951. Die lokale Nähe der unterschiedlichen Organisationen ist in teils engen Beziehungen untereinander begründet.

DFG fördert 30.000 Projekte

Die DFG beispielsweise, Deutschlands größte Forschungsförderorganisation mit einem Etat von 3,5 Milliarden Euro, entstand vor über 100 Jahren zeitgleich mit dem Stifterverband der Deutschen Wissenschaft, wie die Vorsitzende der Geschäftsführung des Wissenschaftszentrums, Anke Fischer-Appelt, erklärt. Der Verband fungierte seinerzeit als Fundraising Organisation, unter anderem für DFG und für das 1976 erbaute Wissenschaftszentrum. Heute mieten alle ansässigen Wissenschaftsorganisationen Räume im Wissenschaftszentrum, welches auch das Deutsche Museum beherbergt. Die HRK als Stimme der deutschen Hochschulen trat erst 1956 in Erscheinung, wurde also gleich in Bad Godesberg gegründet.

Während HRK, DAAD, Wissenschaftszentrum und DFG keine eigentlichen Forschungseinrichtungen sind, so ist in der Wissenschaftsmeile gleichwohl die Kommunikation und teils auch die Delegation deutscher Forschungsprojekte gebündelt. „30.000 Projekte in allen Forschungsbereichen, von Ägyptologie bis Zoologie“ würden durch die DFG gefördert, so Finetti. „Hier wird entschieden, welche Projekte gefördert werden und welche nicht. Die meisten Berufe hier sind also administrativ.“ Büros sind abgesehen von der Plittersdorfer Zentrale etwa in Tokio, Peking oder New York.

Ein Umzug nach Berlin, wo ebenfalls ein Standort ist, sei kein Thema mehr. „Wir haben über 70 Büros in Brüssel und in der ganzen Welt, aber der Kern dessen, was passiert, findet hier in den vier Gebäuden der Wissenschaftsmeile statt“, so DAAD-Sprecher Michael Flacke. Als nach eigenen Angaben weltweit größte Organisation ihrer Art ist sie ein Verein deutscher Hochschulen, der über 150.000 deutsche und ausländische Studierende, Forschende und Lehrende fördert und betreut. Auslandspraktika oder Erasmus-Aufenthalte gehören zu den bekanntesten Leistungen.

Das Wissenschaftszentrum fungiert als Begegnungsstätte: neben Ausstellungen – derzeit etwa zum Thema Künstliche Intelligenz – werden dort Konferenzen abgehalten oder auch die deutschen Exzellenzuniversitäten gekürt. Einige der Mieter im Gebäude kommen aus dem Ausland, etwa die Japan-Society for the Promotion of Science. Neben dem legeren Austausch der Mitarbeitenden in den Organisationen etwa im hauseigenen Bistro bestehen Kooperationen insbesondere inhaltlicher Art.

Diese Mitarbeit konzentriert sich in der Allianz der Wissenschaftsorganisationen, darunter auch Leopoldina-Akademie, Fraunhofer- oder Helmholtz-Gesellschaft. Ein wichtiger Aspekt dieser Allianz ist, Wissenschaft der Öffentlichkeit näher zu bringen und verständlicher zu machen. Eine Initiative hiervon, an der auch das Bundesministerium für Forschung und Bildung beteiligt ist, schippert als schwimmendes „Science Center“ über deutsche Wasserstraßen, genannt die „MS Science“.

Enge Verflechtungen mit dem Nationalsozialismus

Die Neugründung aller ansässigen Organisationen war die Folge enger Verstrickungen mit den Nazis. „So wie in so ziemlich allen wissenschaftlichen Einrichtungen wurde auch in der DFG alles bis hin zu Versuchen am Menschen gefördert“, sagt Finetti. Gremien, welche ebendiese Verflechtungen untersuchen sollten, wurden laut Finetti erst in den 1990er-Jahren aktiv. Mit der Recherchearbeit darüber, welche teils unmenschlichen Taten im Namen der Wissenschaft an den Opfern des Nationalsozialismus ausgeführt wurden, sei man auch heute noch zugange.

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