Chorverband tagt in Bad Godesberg Chöre verschwinden nach und nach

BAD GODESBERG · Seit 2006 sind nach Schätzung des Verbands Bonn-Rhein-Sieg rund 1000 Mitglieder ausgetreten. Das Durchschnittsalter der Sänger liegt meist über 60.

 Das A-cappella-Quartett Klangküsse aus Bonn singt bei der Zentralehrung des Chorverbands Bonn-Rhein-Sieg in der Stadthalle.

Das A-cappella-Quartett Klangküsse aus Bonn singt bei der Zentralehrung des Chorverbands Bonn-Rhein-Sieg in der Stadthalle.

Foto: Schmelzeisen

Auf den ersten Blick geht es den Chören in der Region gut: Rund 1900 aktive Sänger und Sängerinnen, dazu 2320 fördernde Mitglieder in 66 Vereinen zählt der Chorverband Bonn-Rhein-Sieg (CBRS) momentan. Dazu gehören Laienchöre aller Sparten, Geschlechter und Musikrichtungen. Doch nach Schätzungen des Verbands sind im Laufe der vergangenen zehn Jahre rund 1000 Mitglieder ausgetreten und zahlreiche Chöre verschwunden. Von den ehemals 14 Chören in Bad Godesberg sind nur noch die aus Lannesdorf, Mehlem, Friesdorf und Plittersdorf übrig. Neue Mitglieder finden sich nur schwer und so liegt das Durchschnittsalter meist über 60. Woran könnte das liegen? Ein Erklärungsversuch.

Neue Mitglieder finden sich nur schwer

Klaus Rech (59), Vorsitzender des CBRS, singt seit 20 Jahren im Männerchor Friesdorf und leitet diesen überdies seit rund zehn Jahren mit. 32 Mitglieder zählt der Verein aktuell; trotzdem hat er, wie viele andere Chöre auch, Nachwuchsprobleme. Durch einen Chorleiter-Wechsel und eine Neuaufstellung konnte der Verein 2014 zwei neue Mitglieder gewinnen. „Aber es ist unwahrscheinlich schwierig aufgrund der veränderten Vielfalt der Freizeitangebote, die es heutzutage gibt, junge Männer in die Chöre zu bekommen“, berichtete Rech. Die meisten im Verein seien 65 oder älter, „jung“ bedeute daher schon 30 bis 40 Jahre.

Ein Chor, der sich nicht über Mitgliedermangel beklagen kann, ist der gemischte Gesangverein „Cäcilia“ Queckenberg. Stolze 70 Mitglieder zählt der Rheinbacher Verein. „Wir haben einen jungen Chorleiter, auch unser Vorstand ist jung“, berichtete Helga Eckhardt (77). „Wir singen nur Modernes. Gerade haben wir die letzten 20 Jahre Eurovision gesungen, das war ein voller Erfolg. Drei Tage war die Stadthalle voll besetzt. Die Leute wollen einfach Evergreens, Modernes oder auch etwas zum Mitsingen“, meinte Eckhardt. Die Auswahl des Inhalts scheint ein ausschlaggebender Punkt zu sein: Mit Kirchen- und Volksliedern lockt man junge Menschen nicht mehr hinter dem Ofen hervor, so der Tenor.

Dazu passt der Trend, dass Mitsingkonzerte, wie zum Beispiel die Kölner Reihe „Loss mer singe“, sich größter Beliebtheit erfreuen. Zu Björn Heusers Mitsingkonzert erschienen Anfang Oktober 12.000 Menschen in der ausverkauften Lanxess Arena. Problematisch wird es, wenn es um ein regelmäßiges Engagement und den Vereinseintritt geht, erzählten Mitglieder des MGV Liederkranz Kardorf 1871. Die oft verschriene „Vereinsmeierei“ und die Bürokratie, die mit Vereinen verbunden ist, schreckten ab.

Früher habe gemeinsames Singen einen ganz anderen Stellenwert gehabt, sagte Gottfried Pütz, der seit 70 Jahren im Männergesangsverein singt. „In meiner Jugend gab es kein Fernsehen. Abends hat die Jugend sich getroffen, hatte eine Mundharmonika dabei, und dann wurden Lieder gesungen. Das kennt man heute gar nicht mehr“, erinnerte sich der 87-Jährige. „Wir haben schon öfter gehört: “Wenn wir sonst nichts vorhaben, gehen wir zur Probe. Aber das andere geht vor.„ Das ist ja keine Einstellung“, ergänzte sein Kollege Andreas Gierlich.

Insgesamt scheinen ein größeres Freizeitangebot bei gleichzeitig weniger Freizeit sowie veraltete Lieder und Strukturen den Chören zu schaffen zu machen. Dass Chöre allgemein vor dem Aus stehen, glaubte allerdings keiner der Befragten. „Es ist wie alles im Leben: Es geht mal runter und mal rauf“, meinte Pütz.

Früher hatte gemeinsames Singen einen anderen Stellenwert

Eine Patentlösung gegen das Chorsterben hatte niemand parat, aber zumindest Möglichkeiten, den Mitgliederschwund zu bekämpfen. Dem Chor einen moderneren Namen als „Männergesangsverein“ zu geben, sei laut Rech ein Anfang, aber „man muss auch durch Leistung überzeugen“. Das Liedgut an den Geschmack der jüngeren Generationen anzupassen, sei ein wichtiger Schritt. Um auf den Chor aufmerksam zu machen, sei aktive Werbung unverzichtbar: Flyer verteilen, CDs verschenken und auf eine aktuelle Homepage achten.

Um für genügend Sänger zu sorgen, werden manchmal Chöre zusammengelegt. Doch das funktioniere langfristig nur, wenn alle Mitglieder bereit für Veränderung sind, wusste Rech. Wer sich in Jahrzehnten an eine Routine gewöhnt hat, dem fällt es schwer, diese loszulassen, selbst wenn das Überleben des Chors auf dem Spiel steht.

Weitere Informationen unter www.chorverband-bonn-rhein-sieg.de

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort