Vor 30 Jahren Bonn verlassen David Wagner wird Bonner Stadtschreiber

BAD GODESBERG · Nun ist es heraus: David Wagner wird Bonner Stadtschreiber 2021. Dem General-Anzeiger verrät der Berliner Schriftsteller, warum er gerne gerade nach Bonn kommt. In die Stadt, die er vor 30 Jahren verließ.

David Wagner wird Bonner Stadtschreiber
Foto: Rowohlt Verlag/Linda Rosa Saal

Im Herbst kehrt er wieder „nach Hause“ zurück. Wenn der Berliner Schriftsteller David Wagner ab Oktober für drei Monate als Bonner Stadtschreiber antritt, wird das für ihn heißen: „Endlich wieder am Rhein“, erklärt er im GA-Interview. Wie berichtet, hat der Verein Lese-Kultur Godesberg dem mehrfach preisgekrönten Autor für das Jahr 2021 das dreimonatige Godesberger Ferdinande-Boxberger-Literaturstipendium zuerkannt. Der 1971 in Andernach geborene Autor erhält damit 2.500 Euro pro Monat sowie freie Unterkunft in Godesberg und wird, vom Team der Parkbuchhandlung betreut, öffentlich auftreten. „Er soll vor allem ohne finanziellen Druck die Möglichkeit haben, drei Monate am Rhein zu leben und an einem Schreibprojekt zu arbeiten“, erläutert die Vereinsvorsitzende Barbara Ter-Nedden das Amt, das schon drei Mal vergeben wurde: Bonner Stadtschreiber waren Julia von Lucadou (2018), Thomas de Padova (2019) und Ulla Lenze (2020).

Wiedersehen mit Freunden

Mit welchen Erwartungen kommt Wagner ins Rheinland zurück? „Ach, Erwartungen“, antwortet er. „Ich freue mich, wenn ich in schöner Umgebung und mit Aussicht in Ruhe arbeiten kann.“ Zudem denke er, gute Bonner Freunde und Bekannte öfter zu sehen. „Scheint so, als ob ich mit Rheinländern ganz gut auskomme.“ Und er hoffe natürlich, dass es nicht die ganze Zeit regnet. „Aber ich besitze ja einen Schirm“, fügt er zwinkernden Auges hinzu. Wagner ist als passionierter Spaziergänger bekannt. Gerade hat er sich für sein neustes Buch „Verlaufen in Berlin“ die Hauptstadt in Gedanken flanierend erobert: die Alleen und Flughäfen ebenso wie den futuristischen „Bierpinsel“, ein ehemaliges Turmrestaurant, oder die Brandmauer vor seinem Fenster. Die Feuilletons loben ihn für sein „Bewusstsein für die Vergänglichkeit, für das Verschwinden von Dingen und Menschen".

Wagner hat Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft und Kunstgeschichte in Bonn, Paris und Berlin studiert, wo er auch blieb. In seinem 2000 erschienenen Debütroman „Meine nachtblaue Hose“ schilderte er seine Kindheit im Rheinland der 1970er und 1980er Jahre. Im Roman „Leben“ (2013) verarbeitete er seine Erfahrungen einer Organtransplantation. Nach weiteren Titeln veröffentlichte er „Der vergessliche Riese“ über die Demenzerkrankung seines Vaters (2019), der noch in Bonn lebt. Der Sohn erhielt u.a. schon den Preis der Leipziger Buchmesse (2013), den chinesischen Preis „Best Foreign Novel“, also bestes fremdsprachige Buch, (2014) und den Bayerischen Buchpreis (2019). Wagner ist Mitglied des PEN-Zentrums Deutschland.

Der Bonner Stadtschreiberposten hat ihn gereizt. Er habe beim Verein Lese-Kultur Godesberg angefragt, ob er sich überhaupt noch bewerben könne, da er doch schon einen Roman geschrieben habe, in dem Bonn und Bad Godesberg eine prominente Rolle spielten. „Ich habe gefragt, ob ich das, was eventuell erwartet wird, nämlich Bonn zu einem Ort in der Literatur zu machen, mit „Der vergessliche Riese“ nicht schon erfüllt habe“, mit dem Buch also über den dementen Vater. Das schien aber kein Ausschlussgrund gewesen zu sein. „Eher im Gegenteil“, freut sich Wagner.

Wenn das Siebengebirge an den Bosporus erinnert

Der Bezug zum Rheinland sei wie schon bei den bisherigen Stadtschreibern ein wichtiger Auswahlgrund unter den dieses Mal 94 Bewerbungen aus dem gesamten deutschsprachigen Raum gewesen, bestätigt Barbara Ter-Nedden für die Jury.

Außerdem habe Wagner überzeugt, „weil sich seine Texte durch ihre außergewöhnliche Pointiertheit und Wandlungsfähigkeit auszeichneten“.

Nun wird Wagner also ab Herbst für drei Monate durch Bonn flanieren und in der Nähe des Rheins wohnen. Gerade erst, vor zwei Wochen, sei sein Buch „Verlaufen in Berlin“ erschienen. Dort lebe er die meiste Zeit, seit er Bonn vor genau dreißig Jahren verlassen habe. „Vielleicht werde ich nun versuchen, mich in Godesberg zu verlaufen?“, fragt Wagner. Derzeit arbeite er an einem Roman, der in der Türkei und am Bosporus spiele, berichtet der Schriftsteller dann. „Manchmal, mit Regenbogen, erinnern der Rhein und der Blick aufs Siebengebirge mich an den Bosporus und den Blick auf die asiatische Seite von Istanbul“, macht der Autor eine interessante Parallele auf. Er treffe also in Bonn auf beste Voraussetzungen, um seine Arbeit an diesem Buch fortzusetzen. „Aber wer weiß, vielleicht schreibe ich auch eine Fortsetzung des vergesslichen Riesen?“, fragt er sich dann. Wenn er in Godesberg wohne, könne er seinen Vater ja ohne weite Anreise besuchen.

Das Literaturstipendium bedeute für ihn auf jeden Fall eine Auszeichnung. „Und mir gefällt es, einige Wochen oder Monate in anderen Städten arbeiten zu können und viel herumzulaufen“, fügt Wagner hinzu. 2020 war er einen Monat in Hamburg, in den Jahren davor in Istanbul, im französischen Vézelay und in Venedig. Denn "das Anderswo schärft den Blick aufs Eigene.“

Im Handel erhältlich: David Wagner, Der vergessliche Riese, Rowohlt Verlag 2019, 12 Euro; David Wagner, Verlaufen in Berlin, Verbrecher Verlag 2021, 16 Euro

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