Neue Erkenntnisse über den Godesberger Tausendsassa Der harte Alltag des „Rheinischen Götz“

Bad Godesberg · Der legendäre Schlosser Mathias Natius, besser bekannt als der „rheinische Götz“, verlor als 18-Jähriger bei einer Schlägerei seine linke Hand. Doch dank einer Prothese Marke Eigenbau boxte er sich beruflich durch. Nun gibt es neue Erkenntnisse über ihn.

Neue Erkenntnisse über den Godesberger Tausendsassa: Der harte Alltag des „Rheinischen Götz“
Foto: Heimat- und Geschichtsverein God

Autoren kennen dieses Aha-Erlebnis: Kaum haben sie nach intensiver Recherche ihren Beitrag veröffentlicht, da stoßen sie plötzlich noch auf, wie Heimatforscher Bernd Birkholz seufzt, weitere „gewichtige Informationen“. So geschehen, nachdem sein Portrait des „Rheinischen Götz“ Mathias Natius in den „Heimatblättern“ 2021 in den Druck gegangen war. Natius (1859-1922) war der legendäre Schlosser aus der Villichgasse, der als 18-Jähriger bei einer Schlägerei seine linke Hand verloren hatte, doch sich dank einer Prothese Marke Eigenbau beruflich durchboxte und dazu dank cleverer Marketingideen zum Godesberger Original reifte. Der bekannte, ebenfalls einarmige Reichsritter Götz von Berlichingen „mit der eisernen Hand“ aus dem 16. Jahrhundert ließ grüßen.

Neue Erkenntnisse über den Godesberger Tausendsassa: Der harte Alltag des „Rheinischen Götz“
Foto: Heimat- und Geschichtsverein God

Birkholz stieß nun also nach Drucklegung seines Natius-Portraits im „unsortierten Bestand“ des Vereinsarchivs auf einmal „ganz tief unten“ auf weitere Dokumente zu dem historischen Kraftprotz, der physisch eigentlich gar kein Hüne war, dessen Willenskraft aber Berge versetzte. Bisher unbekannte Bilder zeigen Natius tatkräftig in seiner Werkstatt, aber überraschenderweise auch, wie selbst er mit einer Schaufel, bis zur Hüfte im Erdreich stehend, im damaligen Neubaugebiet Villenviertel einen Graben aushebt. Dabei hatte Natius das Werkzeug am vorderen Ende seiner aus Eisen und Leder gefertigten Unterarmprothese mit einer Öse befestigt. Es ist ein auf einem Karton aufgeklebtes Werbebild eines Godesberger Ingenieurs namens Clemens Vollert und beschriftet mit: „Natius erhielt pro laufenden Meter zum Ausschachten 50 Pfennige, verdiente also pro Tag zehn Mark mit dieser Arbeit.“

Neue Erkenntnisse über den Godesberger Tausendsassa: Der harte Alltag des „Rheinischen Götz“
Foto: Heimat- und Geschichtsverein God

Selbst entworfenes Werbeplakat entdeckt

Neue Erkenntnisse über den Godesberger Tausendsassa: Der harte Alltag des „Rheinischen Götz“
Foto: Heimat- und Geschichtsverein God

Der Herr Ingenieur verschaffte sich mit dem beliebten Protagonisten sicher weitere Arbeitskräfte. Das Foto zeigt aber vor allem, wie körperlich hart der Schlosser auch mit zusätzlichen Arbeiten für den Unterhalt seiner vielköpfigen Familie kämpfen musste. Einsätze wie die nach dem Ersten Weltkrieg auf Bühnen, auf denen sich Natius als leuchtendes Beispiel für die Tatkraft behinderter Menschen feiern ließ, waren dagegen wohl ein Kinderspiel für ihn. Birkholz hat nun ein damaliges, von Natius selbst entworfenes Plakat gefunden, auf dem sich dieser als „ein Wunder der Arbeitskraft. Einzig und originell in seiner Art“ selbst anpreist. Die Presse war jedenfalls bei jedem seiner Auftritte sofort vor Ort.

Neue Erkenntnisse über den Godesberger Tausendsassa: Der harte Alltag des „Rheinischen Götz“
Foto: Heimat- und Geschichtsverein God

Doch der Alltag im Arbeitermilieu sei damals unbarmherzig gewesen, notiert Birkholz. Sein Held habe sich nach Feierabend auch als Nachtwächter und Grabausheber verdingen müssen. Und da sei es sicher nicht immer so lustig zugegangen wie bei der Episode, die Birkholz nun „ganz tief“ im Archiv fand. Natius habe nämlich einmal zwei auswärtigen Schustergesellen in einer Godesberger Gastwirtschaft die Wette aufgeschwatzt, sie würden es nicht schaffen, zu Mitternacht an einem offenen Grab des Burgfriedhofs zu verweilen. Der auch mit deftigem Humor gesegnete Muskelmann habe daraufhin nachts drei Kollegen mit Betttüchern und Sensen unter schaurigem Geheul auf dem Gottesacker auftauchen lassen und habe selbst noch einen Sack Knochen, die damals zur Farbgewinnung verwendet wurden, dazu geschüttet. Das Resultat: Die Schuster nahmen Reißaus. Die Wette war gewonnen.

Götz war auch als Althändler gemeldet

Der normale Arbeitsalltag war bestimmt ernster. Weitere neu gefundene Bilder zeigen Natius etwa vor dem Nebengebäude seines Wohnhauses in der Oststraße, damals Nummer 26, auf dem ein interessantes Schild prangt: „Ankauf von altem Eisen, Blei, Zink, Kupfer, Messing, Knochen und Flaschen“ steht darauf. Der „Götz“ von Godesberg verdiente also auch als Ankäufer von gebrauchten Werkstoffen sein „täglich Brot“. Birkholz schaute in den Adressbüchern der Zeit nach. Und siehe da: Der Mann mit dem starken Bizeps war auch als „Althändler“ gemeldet. Die genannten Metalle seien gerade für die Rüstungsindustrie als wichtige Rohstoffe industriell eingeschmolzen und wiederverwertet worden, schreibt der Heimatforscher. „Recyceln war schon vor über 100 Jahren lukrativ!“

Und dann hat Birkholz neben anderem noch eine Grafik aufgestöbert, auf der zu sehen ist, wie Natius im Nachhinein seine da schon drei Jahrzehnte getragene, in der Zeit total aufregende Armprothese beschrieb. Sie bestand aus einer Stumpfhülse, die durch eine Ledermanschette mit drei Riemen am Oberarm befestigt wurde. Zum Fixieren von Werkzeugen dienten unterschiedlich geformte Ösen und Haken, die mit einem soliden Gewinde an der massiven Endplatte befestigt und durch eine Kontermutter gegen Verdrehen gesichert wurden. Überhaupt falle auch nach seinen neuen Funden von Dokumenten auf, schreibt Birkholz, dass der bärenstarke „Rheinische Götz“ überall nur mit seiner Prothese überliefert ist. Und das ist vielleicht auch die Tragik hinter der so saftigen Godesberger Geschichte: Den so beliebten und bewunderten Mathias Natius „gab es offenbar ausschließlich mit seinem künstlichen Körperteil“.

Die aktuelle Ausgabe der Heimatblätter ist für zehn Euro erhältlich in der Vereinsgeschäftsstelle, Augustastr. 83, dienstags von 15 bis 18 Uhr, bei Stadtmarketing, Ria-Maternus-Platz 1, oder im SWB KundenCenter, Alte Bahnhofstr. 22 a. Darin enthalten: der neue Beitrag von Bernd Birkholz über Mathias Natius. ham

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