Tagung in Bonn Die Autorin Ulla Hahn über Begabung und Förderung

BONN · Ulla Hahn entstammt einer Arbeiterfamilie, die Bibel war das einzige Buch im Haus ihrer Eltern. Heute gehört die 67-Jährige zu den bekanntesten Schriftstellerinnen des Landes.

 Ulla Hahn stammt aus dem Arbeitermilieu. Sie verdankt es einigen wenigen Förderern, dass sie an Bildung teilhaben konnte. Ein Thema, um das es auch bei der Tagung in Bad Godesberg geht.

Ulla Hahn stammt aus dem Arbeitermilieu. Sie verdankt es einigen wenigen Förderern, dass sie an Bildung teilhaben konnte. Ein Thema, um das es auch bei der Tagung in Bad Godesberg geht.

Foto: dpa

Zum Ende dieser Woche nimmt Hahn in der Evangelischen Akademie in Bad Godesberg an einer - ausgebuchten - Tagung über Begabung teil. Titel: "Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde...". Dabei stellt Hahn sich auch ihrer eigenen Kindheit in einer bildungsfernen Familie.

Sie waren als Kind einmal ein "Teufelsbraten"?
Ulla Hahn: Ja, ein "Düwelsbrode", so nannte mich vor allem die Großmutter. Aber ich wusste mich zu wehren. Sobald ich nämlich bei Lukas die Geschichte von Maria und Marta gelesen hatte - und das war sehr früh, denn bei uns zu Hause gab es außer der Bibel keine Bücher - konnte ich meine Abneigung gegen die verleidete Hausarbeit mit Gottes Wort begründen. Jesus selbst stellt klar, dass gegenüber der hauswirtschaftenden Marta deren Schwester Maria, seinen Worten lauschend, "das Bessere gewählt" habe. Da konnte dem "Düwelsbrode" keiner mehr die Leselust vergraulen.

Das Arbeiterkind der fünfziger Jahre - man würde heute sagen: das Kind aus bildungsfernem Haushalt - hat aber Förderung und Unterstützung erhalten? Wem sind Sie dankbar?
Hahn: Sobald ich drei war, durfte ich in den katholischen Kindergarten gehen, der einzige im Dorf, ganz ohne Aufhebens auch für evangelische Kinder. Er wurde von Ordensschwestern geleitet. Besonders die Kinderschwester Aniana wurde mein erster Schutzengel, in einem ganz wörtlichen Sinne. Sie versuchte meiner Mutter klarzumachen, dass die Phantasie eines Kindes nichts Böses ist. Ihr folgte Lehrer Schulten, mein Volksschullehrer, der die bis heute wohl wichtigsten Worte in meinem Leben sprach: Steh auf. Denn ich war sitzen geblieben, als alle aufstehen sollten, die auf weiterführende Schulen gehen durften. Er hat dann zusammen mit Pfarrer Reinartz meine Eltern von meinem Schulwechsel überzeugen können.

Begabung allein nützt also nichts? Ein hochaktuelles Thema, nicht wahr?
Hahn: Da haben Sie recht. Ich würde sogar noch weitergehen. Auch die Angebote, die heute zweifellos auch für unterprivilegierte Kinder größer sind als in den fünfziger Jahren, funktionieren nur über Personen. Es ist der einzelne Mensch, der sich des einzelnen Kindes annehmen muss, es in seiner Besonderheit, seiner Einzigartigkeit erkennen muss, um es erfolgreich fördern zu können. Eine gewaltige Aufgabe. Ich denke oft, dass ich großes Glück hatte, auch damit, in so überschaubaren dörflichen Verhältnissen aufgewachsen zu sein, wo jeder jeden kannte. Wo es Menschen gab, den Lehrer, den Pfarrer, die auch die Eltern zu überzeugen vermochten.

Wo sollten denn heute die wichtigen Impulse für Kinder aus sozial schwachen Familien herkommen?
Hahn: Wie gesagt: Institutionen sind wichtig. Angebote früher Förderung sind wichtig. Aber das Wichtigste sind und bleiben die Persönlichkeiten innerhalb dieser Institutionen. Und nicht zuletzt deren Zusammenarbeit mit den Eltern.

Ihre Heimatstadt Monheim hat dieses Jahr in Ihrem Elternhaus ein Zentrum der Sprach-, Lese- und Literaturförderung eröffnet. Sie sind Schirmherrin. Was wird in diesem Ulla-Hahn-Haus geleistet?
Hahn: Zunächst einmal bin ich der Stadt und dem Land Nordrhein-Westfalen sehr dankbar, dass dieses Projekt realisiert werden konnte. Es ist ja die andere Hälfte des Hauses dazugekauft und aus den kleinen Zimmern im Obergeschoss ein heller großer Raum gemacht worden, sodass die beiden kleinen Arbeiterhäuschen eine beinah wundersame Verwandlung erfahren haben. Und auch mit der Person, die das Haus mit Leben füllt, haben wir Glück: Julia Gerhard arbeitet sehr gut mit Monheimer Lehrerinnen und Lehrern zusammen und versteht es, ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewinnen. Angebote gibt es für alle Altersgruppen. In diesem Sommer war ein Höhepunkt sicher der Kulturrucksack. Ein Klassiker sind schon die Spaziergänge ans Rheinufer, wo Muscheln und Steine Geschichten erzählen. Hervorheben möchte ich auch die Schreibwerkstatt mit dem Kölner Jugendbuchautor Manfred Theisen, und sehr schön finde ich auch das Projekt Lesepaten, wo ältere Schülerinnen und Schüler sich um die Leseförderung jüngerer kümmern. Gerade wurde auch der erste Uh!-Preis verliehen, ein Preis für Jugendliteratur. Es war wirklich ermutigend zu sehen, welche Bücherberge da von der Jury, je fünf Schülerinnen und Schülern der Peter-Ustinov-Gesamtschule und des Otto-Hahn-Gymnasiums, verschlungen wurden und wie engagiert monatelang diskutiert wurde. In Vorbereitung ist eine Broschüre, die Spaziergänger auf die Spuren meines Romans "Das verborgene Wort" führt. Und wenn Sie noch mehr wissen möchten: schauen Sie sich unsere Homepage an.

Um auf die Tagung der Evangelischen Akademie zu kommen, innerhalb derer Sie ja mitwirken: Schuf Gott den Menschen Ihrer Meinung nach wirklich zu seinem Bilde?
Hahn: Nun was heißt das: "zu"? Oder wie ich es katholisch gelernt habe: "nach seinem Bilde"? Für mich gilt: Gott ist Liebe. Und in diesem Sinne hat er sich in der Schöpfung und auch im Menschen offenbart. Und der Mensch tut gut daran, sich seines Mitmenschen und der Schöpfung in Liebe anzunehmen.

Zur Person

Ulla Hahn, 57, ist promovierte Germanistin und zählt zu den wichtigsten deutschsprachigen Lyrikerinnen und Prosaschriftstellerinnen. Für ihren zweiten Roman "Das verborgene Wort", in dem sie ihre eigene Kindheit im Rheinland der 1950er Jahre verarbeitete, erhielt sie 2002 den Deutschen Bücherpreis. Das Buch wurde 2007 von Hermine Huntgeburth unter dem Titel "Teufelsbraten" verfilmt.

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