Godesberger Gegensätze Die Liebe durchkreuzte seine Rückkehrpläne

Bad Godesberg · Moustafa Sabbagh kam als Student aus Syrien nach Bonn. Der Start war schwierig, weil ihm neben der Sprache auch Kontakte fehlten. Mit dem GA sprach er über sein Leben als Araber in Deutschland.

 Integrationslotse Moustafa Sabbagh berät einen Landsmann zu GEZ-Gebühren.

Integrationslotse Moustafa Sabbagh berät einen Landsmann zu GEZ-Gebühren.

Foto: Barbara Frommann

Es sind meist Alltagssituationen, bei denen sich Moustafa Sabbagh zumindest ein inneres Lächeln nicht verkneifen kann. Wenn er zum Beispiel am Telefon seinen Namen nennt und der Anrufer ziemlich verdutzt reagiert, weil der 41-Jährige nicht nur alles versteht, sondern in gutem Deutsch antwortet. Oder wenn er mit seiner Frau, die Kopftuch trägt, in den hiesigen Geschäften unterwegs ist und direkt auf Englisch angesprochen wird. „Nicht jeder, der arabisch aussieht, ist eben Medizintourist“, sagt er über sich und seine deutsche Frau, die im November 2005 zum Islam konvertiert ist. Und nicht jeder, möchte man ergänzen, der Deutschland als neue Heimat gewählt hat, ist so angekommen wie Sabbagh.

Geboren wurde er 1975 in Aleppo. Der Krieg war noch weit weg, die 14-köpfige Familie zählte zur Mittelschicht. „Reich waren wir nicht“, meint er. Aber die Eltern hatten viel Verständnis für die Bedürfnisse des Erstgeborenen, dem die Stadt zu eng war. In Australien waren dem Abiturienten 1994 die Unis zu teuer, Europa schien finanzierbarer. „Deutschland war insofern im Fokus, als dass alle Araber vor dem Fernseher sitzen, wenn das deutsche Fußballteam spielt“, erzählt Sabbagh. Am 17. August 1995 kam er in Tannenbusch an, wohnte als Untermieter bei einer syrischen Familie. Ein Wendepunkt für ihn, der sich rückblickend als sehr unselbstständig beschreibt. Hört man ihm zu, hatte der Neu-Bonner anfangs drei Ziele. „Deutsch lernen, Pharmazie studieren und schnell wieder zurück.“ Nur zwei davon sollte er umsetzen.

Abends weinte er oft vor Einsamkeit

Die fremde Sprache lernte er beim Bildungswerk für Friedensarbeit. „Ich habe nur geschlafen und gelernt“, beschreibt er die Anfangszeit. Und des Abends in die Kissen geweint vor lauter Einsamkeit. Nach nur drei Monaten schaffte er die Aufnahme ins Studienkolleg, das Voraussetzung fürs Studium war. „Man brauchte 60 Prozent um zu bestehen, ich hab 60,5 erzielt.“ Trotzdem habe er das Sprachdefizit weiter mit sich herumgeschleppt, viel Unistoff in seinem Studentenzimmer an der Rheinallee nacharbeiten müssen. Er sagt, dass ihm jedoch gerade das für die weitere Sprachentwicklung geholfen habe.

Diese Chance hätten Flüchtlinge nicht. „Viele erreichen in den Sprachkursen zwar das geforderte Level, können aber keinen Satz sprechen, weil es keine Gelegenheit gibt, die Sprache einzusetzen.“ Außerdem hängen für ihn Bildungsgrad und Aufnahmefähigkeit der neuen Kultur eng zusammen. „Menschen, die vorher von 6 bis 14 Uhr am Fließband standen, haben es viel schwerer als belesene Menschen, die schon etwas über die Welt wissen.“

Heute betreut er Medizintouristen

Sabbagh selbst half auch die Liebe beim Spracherwerb. „Über Freunde habe ich meine Frau kennengelernt, eine Bremerin.“ Sie kam ihm zuliebe ins Rheinland, studierte in Köln Architektur weiter. 2003 wurde geheiratet. „Ab da habe ich nicht mehr an eine Rückkehr gedacht“, sagt der 41-Jährige. Alleine über seine Aushilfsjobs ließe sich ein Buch schreiben. SGL Carbon, Kellner im einstigen Bonner Hähnchen, Pfleger in der Uniklinik – vieles war dabei. Anschließend verdingte er sich als Dolmetscher an der Botschaft von Katar, Patientenbetreuer bei der Fachklinik für Gefährdetenhilfe in Meckenheim und schließlich von 2008 bis 2015 als Prokurist einer Firma, die Handel mit dem Nahen Osten betrieb.

Jetzt ist der dreifache Vater sein eigener Herr und hat jene als Kunden, die manchem Bürger ein Dorn im Auge sind: Medizintouristen. „Ich kümmere mich um alles, was mit der Behandlung zusammenhängt, angefangen vom Arzt, über Dolmetscher bis hin zum Fahrer“, sagt er. Wohnungen, die nicht selten für die ausländischen Gäste zweckentfremdet werden, vermittelt er nicht.

Kann er verstehen, dass sich nicht jeder über die Anwesenheit freut? „Um ehrlich zu sein, nein. Wir sprechen hier von Touristen, die nach einer gewissen Zeit das Land wieder verlassen, vor allem aber von einem riesigen Wirtschaftsfaktor für Bad Godesberg und die Region“, meint der Inhaber von Germany Healthcare. Für vier Wochen müsse niemand die Sprache des Gastlandes lernen, und Mülltrennung gebe es so eben nur in Deutschland. „Viele haben in ihrer Heimat Bedienstete“, gibt er zudem zu bedenken. Die Burka werde hier fast ausschließlich von Touristen getragen. „Der ein oder andere Deutsche legt im Ausland auch nicht seine Sandalen samt weißen Socken ab“, sagt Sabbagh.

Ehrenamtlich engagiert er sich als Integrationslotse

Als was sieht er sich eigentlich selbst? „Als Araber, der in Deutschland lebt, oder als deutscher Moslem.“ In seiner Heimat sei er dagegen „der Deutsche“, auch weil er immer pünktlich ist, hier „der Ausländer“. Vorurteile seien so lange existent, bis man sich begegne. „Jeder hat eine Festung, keiner will den anderen kennenlernen.“

Diese Erfahrung hat er auch als städtischer Integrationslotse gemacht. Durch die ehrenamtliche Arbeit habe er viele Freunde gewonnen, die mit der Akzeptanz in der neuen Heimat, aber auch der Akzeptanz, das Neue anzunehmen, Probleme hätten. „Meine Überzeugung ist weiterhin: Man muss die Sprache können.“ So übersetzt er Behördenbriefe oder hilft bei der Jobsuche. Letzteres hat auch bei seinen vier Geschwistern, die er inklusive der kranken Eltern aus Syrien geholt hat, geklappt.

Als völlig normal empfänden übrigens die Kinder das Leben in zwei Kulturen. Gefeiert werden die christlichen Feste zwar nicht, aber dank Sabbaghs deutscher Schwiegermutter sind sie sehr präsent. „Und Geschenke machen wir auch.“ Mit ihrer Mutter sprechen die Kinder ausschließlich Deutsch, mit dem Vater Arabisch. „Bei den Großeltern halten sie's auch gerne mal andersherum, um sie zu ärgern“, sagt Sabbagh.

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