GA-Serie: Geschichten am Grab aus Bonn Ein Tausendsassa verändert Godesberg

Bad Godesberg · Der in der Ukraine geborene Pfarrer Julius Axenfeld gründete Ende des 19. Jahrhunderts fast ein Dutzend Godesberger Bildungs- und Sozialeinrichtungen und baute die erste große evangelische Kirche in Godesberg. Begraben ist er auf dem Burgfriedhof in Bonn in einem Ehrengrab nahe bei katholischen Priestern.

GA-Serie: Geschichten am Grab aus Bonn: Ein Tausendsassa verändert Godesberg
Foto: Ebba Hagenberg-Miliu

Zu seiner Beerdigung im Juli 1896 sollen die Godesberger nur so auf den Burgfriedhof geströmt sein: Julius Axenfeld (1834-1896) galt es zu betrauern, den Pfarrer, der von 1870 bis 1895 die erste hiesige evangelische Gemeinde aufgebaut und nahezu ein Dutzend soziale und Bildungseinrichtungen initiiert hatte. Seine sterblichen Überreste waren im Juni 1896 zurückgekehrt. Axenfeld war im Alter von 62 Jahren in Marburg nach einer Magenkrebsoperation gestorben – ein bitteres Ende für einen rastlosen Kämpfer für die Benachteiligten der Gesellschaft und nicht zuletzt für seinen Glauben.

„Ein schönes Zeichen der Toleranz, dass sein Grab neben den Gräbern der katholischen Priester von St. Marien zu finden ist“, kommentiert Martin Ammermüller, ehemaliger Vorsitzender des Heimatvereins, bei den von ihm angebotenen Spaziergängen über den Burgfriedhof Axenfelds städtisches Ehrengrab. Nahe dem Haupteingang sind hier auch die Ehrengräber der ebenfalls mit Gründungen aktiven Zeitgenossen Axenfelds Pfarrer Theodor Minartz und Dechant Joseph Winter zu finden. Nicht weit davon: das monumentale Jugendstil-Grabdenkmal „Mutter Erde“. Dagegen mutet das Familiengrab der Axenfelds mit dem schwarzen Kreuz auf glänzendem Stein bescheiden an. „Jesus, meine Zuversicht“ wird darauf in Goldschrift ein Kirchenlied zitiert.

„Weitblick, Unerschrockenheit und Tatkraft“

„An Julius Axenfeld sind sicherlich bis heute sein Weitblick, seine Unerschrockenheit und seine Tatkraft beeindruckend“, charakterisiert Stephan Bitter, ehemaliger Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Bad Godesberg-Voreifel, auf GA-Frage den Tausendsassa.

Axenfeld war 1834 als Sohn eines jüdischen, zum Protestantismus konvertierten Arztes in der Ukraine geboren worden. Dann hatte es ihn über die Stationen Ostpreußen, Düsseldorf und Türkei im Jahr 1870 ins beschauliche Godesberg verschlagen. Wo er in der evangelischen Diaspora einen atemberaubenden Gründergeist entfachte. Doch wer nicht gleich mitziehen wollte wie anfangs der Pädagoge Otto Kühne, dem pflegte er Druck zu machen: „Sehen Sie, das ist die Feigheit der deutschen Gelehrten; auf ihrer Stube sitzen sie und schreiben ihre Ideale in die Kladde… Aber für Ideale einzutreten, wagt niemand.“

 Julius Axenfeld

Julius Axenfeld

Foto: GA-Archiv

Axenfeld selbst hatte den Mumm. Er lernte mit Johann Hinrich Wichern und Theodor Fliedner die damaligen Größen der Diakonie kennen und schätzen. Und so setzte er in Godesberg mit der Gründung des Pädagogiums (Päda), der Otto-Kühne-Schule, an. Anfangs unterrichtete er die ersten vier Schüler gleich im eigenen Haus, bis 1883 Kühne übernahm. Dann gründete Axenfeld unter anderem Erholungshäuser für Frauen, für Männer, für wandernde Handwerksburschen, eine Krankenpflege, den vor Ort ersten evangelischen Kindergarten, eine Elementarschule und ein Lyzeum für Mädchen, aus dem sich später das Amos-Comenius-Gymnasium entwickelte. Letztlich gehe die gesamte Diakonie Godesbergs auf diesen willens- und schaffensstarken Mann zurück, sagt Bitter und verweist auch auf die Gründung des Waisenhauses Godesheim, auf dem heute die gleichnamige Evangelische Jugendhilfe basiert.

Mit Weitblick hatte Axenfeld dafür auf der Godeshöhe ein riesiges Gelände gekauft und somit den evangelischen Gemeinden die spätere Gründung des Waldkrankenhauses und des Kolfhaus-Seniorenheims ermöglicht. An der heutigen Rüngsdorfer Straße gelang ihm ab 1878, das erste große Gotteshaus der hiesigen Evangelen, die Erlöserkirche, hochzuziehen. „Axenfeld hat mit seinem Wirken wesentlich zur Entwicklung der ganzen Kommune beigetragen“, betont Bitter.

Er sagt das nicht ohne durchblicken zu lassen, dass den so Gepriesenen auch eine gewisse missionarische Unerbittlichkeit und mangelnde Rücksichtnahme auf die Familie prägten. „Er nutzte seine Zeit im Sinne eines „carpe diem“ und war dabei wohl auch von streitbarer Durchsetzungskraft“, formuliert es Bitter. Diese sei wohl im katholischen Rheinland seiner Zeit „angesichts eines aggressiven Ultramontanismus“, also einer streng päpstlichen Gesinnung der Katholiken, geboten gewesen. „Was man damals als deutsch und evangelisch verteidigte, würde man heute wohl europäisch und ökumenisch nennen“, meint Bitter.

„Sein unermüdlicher Antrieb ist nach wie vor wegeweisend“

Für Axenfeld sei ein „Dasein für andere“ à la Dietrich Bonhoeffer die Konsequenz seines Glaubens gewesen, urteilt Klaus Graf, Geschäftsführer der Jugendhilfe Godesheim, auch für die heutige Axenfeld-Stiftung und -gesellschaft. „Sein unermüdlicher Antrieb, der Not hilfebedürftiger Menschen durch innovative Wege und Entwicklungen entgegenzuwirken, ist für unsere heutige Arbeit nach wie vor wegweisend.“

Andererseits sei im aktuellen Sozialstaat das Helfen vielfach zu einem sehr komplexen, oft auch komplizierten Vorgang geworden, so Graf. „Julius Axenfeld würde heute vermutlich alle sich bietenden rechtlichen, finanziellen und methodischen Möglichkeiten nutzen, um mit großer Tatkraft und Kreativität andere Wege, Wege zum anderen zu erschließen.“

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