Navid Kermani, zu Gast in der Johanneskirche Ein "verliebter Blick" auf die Bibel

BAD GODESBERG · Hausherr Pfarrer Jan Gruzlak bezeichnete seine bis ins letzte Eckchen besetzte evangelische Johanneskirche als "genau den richtigen Ort für den christlich-muslimischen Dialog". Parkbuchhandlungs-Chefin Barbara Ter-Nedden kündigte als Einladerin den Gast als "einen der wichtigsten deutschen Intellektuellen" an.

 Navid Kermani liest in der Johanneskirche neben einer Darstellung des El-Greco-Gemäldes mit Maria und Jesus. FOTO: RONALD FRIESE

Navid Kermani liest in der Johanneskirche neben einer Darstellung des El-Greco-Gemäldes mit Maria und Jesus. FOTO: RONALD FRIESE

Foto: Ronald Friese

Und dann trat ein bescheiden auftretender Herr an den Altar und las vor 450 Zuhörern unter flackernden Kerzen erstmals aus seinem gerade erschienenen Buch "Ungläubiges Staunen. Über das Christentum".

Als Navid Kermani, deutsch-iranischer Muslim, Islamwissenschaftler und gefeierter Schriftsteller, las, hätte man eine Stecknadel fallen hören können, so still war es. Der Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels wagte "ungläubig staunend" einen Ritt durch den christlichen Bilderkanon, die Deutungen der Evangelien in der Kunst der Jahrhunderte.

Als "ein großes menschliches Buch über den Menschen und über Gottes Reaktionen auf den Menschen" bezeichnete der habilitierte Orientalist im Gespräch mit dem evangelischen Theologen Professor Gotthard Fermor hernach die Bibel. "Dagegen spricht im Koran Gott in der ersten Person, man mag das glauben oder nicht." Er selbst beschäftige sich voller Leidenschaft mit der Bibel, so Kermani.

Alle negativen Dinge sind in der Bibel dargestellt

"Alle großen Dichtungen, alle heiligen Texte lassen viel aus. Sie hören deshalb nie auf, zu uns zu sprechen. Sie lassen sich auf unsere heutige Zeit beziehen", folgerte der bekennende Kölner. In der Bibel sei aber ausdrücklich auch alles Negative ausgesprochen, was das Leben damals wie heute ausmache: Zorn, Gewalt, Folter, Grausamkeit, Flucht, Kriege.

"Das passt dann jedoch oft nicht in die schöne Botschaft der Predigt am Sonntag, die die Bibel für den alltäglichen Gebrauch kompatibel machen will", kritisierte Kermani. Werde hier nicht die Bibel weich gezeichnet, statt sie aus aktueller Sicht weiter zu hinterfragen? Was Fermor augenscheinlich hinnahm.

Seine Analysen im Buch bezeichnete Kermani "Assoziationen durch Bilder, die theologisch richtig oder nicht richtig sein mögen". Sei es nicht verwunderlich, dass von Jesu Leben in den Evangelien nie "die Liebe des Mannes und der Frau" überliefert sei? Er habe sich etwa El Grecos berühmtes Gemälde "Der Abschied Christi von seiner Mutter" angesehen und sinnliche Lippen, die sich zu einem Kuss vereinigen wollten, vorgefunden.

"Der Maler hat zwei Blicke hinzugefügt, die in den Evangelien fehlen und doch jeder erinnern müsste, der je groß geliebt hat." In solchen Gemälden sei der Gedanke, dass Jesus auch ein irdisch Liebender gewesen sein mochte, auf jeden Fall angelegt. Zudem sei bei El Greco und den zahllosen anderen Malern christlicher Szenen die elementare Rolle der Maria als Mutter, als Schwester, als liebende Frau betont. Da sei es verwunderlich, dass die feministische Theologie doch so gar nichts mit der Figur der Maria anfangen könne.

Kermani treffe mit seiner Blickweitung auf das Christentum und dessen Bildkunst einen Nerv der Zeit, er erfülle ein Bedürfnis der Gesellschaft, sagte Fermor. "Wir Christen bekommen mit seinen Schlussfolgerungen kräftig was zu denken." In Zeiten schlimmer Verzerrung im Namen von Religionen setze Kermani ein Zeichen der Versöhnung. Als Muslim blicke er "neugierig, liebevoll, ja verliebt" auf die Bibel. "Und er ist auf der Suche nach dem, was in unser beider Religionen größer ist als alles andere", so Fermor.

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