Förderklassen im Friedrich-List-Berufskolleg Eine große Chance in der Fremde

BONN · Landeskundlicher Unterricht in einer der drei internationalen Klassen am Friedrich-List-Berufskolleg: An der Tafel stehen Stichwörter zum Thema Demokratie. "Die gab es in der DDR nicht", meldet sich Shakil. Lehrer Cord Hantke nickt. "Richtig. Wir waren ja letztens zum Klassenausflug in Berlin an der ehemaligen Mauer", erläutert er.

 Bei den Neuankömmlingen in der Förderklasse geht es Lehrer Cord Hantke darum, neben den Sprachkenntnissen vor allem auch Vertrauen aufzubauen.

Bei den Neuankömmlingen in der Förderklasse geht es Lehrer Cord Hantke darum, neben den Sprachkenntnissen vor allem auch Vertrauen aufzubauen.

Foto: Ronald Friese

Seine Förderschüler stammen zum größten Teil aus Kriegsgebieten und leben erst kurze Zeit in Deutschland. "Einige ohne Familie, viele sind traumatisiert. Aber hier in den Klassen sind alle sehr motiviert, obwohl ihr Aufenthaltsstatus oft nicht mal gesichert ist", sagt Hantke nach dem Unterricht.

Marlon, Adrian und Hakim etwa sind ein halbes Jahr in Bonn. "Am Anfang konnten wir kein Deutsch. Jetzt geht das besser", sagen sie. Wer gut lerne, komme auch schneller in die Klasse mit höherem Lernniveau. "Mathe ist einfach. Wir müssen aber noch besser schreiben." Die Jungen haben klare Pläne. Bauingenieur, Informatiker und Buchhalter wollen sie werden.

Bei der Frage, woher sie kommen, geht der Blick der drei jungen Leute ins Weite. Afghanistan, antwortet dann einer. Die meisten hätten eine Odyssee hinter sich, erklärt Christoph Scheele später im Gespräch mit dem GA. Er hat den Bildungsgang seit drei Jahren aufgebaut. Der Kollege reiße sich mindestens drei Beine aus für diese Sache, charakterisiert Schulleiter Hermann Hohn Scheeles Engagement. Bei den Neuankömmlingen in der ersten Förderklasse gehe es darum, neben den Sprachkenntnissen vor allem auch Vertrauen aufzubauen, sagt Scheele. "Was die alles hinter sich haben, können wir uns ja kaum vorstellen." Einer habe nach einiger Zeit erzählt, er sei zehn Tage mit verbundenen Augen im Kriegsgebiet gefangen gehalten und geschlagen worden. "Und jetzt hier bei uns sind sie so dankbar, dass sie etwas lernen können und eine Chance bekommen."

Auf drei Niveaustufen wird mit den jungen Leuten, von denen die meisten aus Syrien kommen, auf der Basis von Eingangstests, Lerntempo und persönlicher Entwicklung gearbeitet. Voraussetzung ist jedoch die Alphabetisierung. Fast alle hätten auf der Flucht keine Papiere - also auch keine Zeugnisse - mitführen können, so Scheele. Gelänge aber im Laufe des Schuljahrs doch noch die Anerkennung eines im Heimatland gemachten Schulabschlusses, könnten die Schüler sofort in eine Berufsqualifizierungsklasse des Kollegs wechseln und im Zuge eines begleitenden Praktikums ihre Sprachkenntnisse vervollständigen. "Wichtig ist uns, dass keiner aus diesen internationalen Klassen unser Kolleg verlässt, ohne dass wir mit ihm eine Perspektive für die nächsten Schritte entwickelt haben", sagt der Projektleiter. Entweder würden sie in ein anderes Berufskolleg mit gewerblichem Schwerpunkt vermittelt oder sie gelangten in einen weiterführenden Bildungsgang. Fünf ehemalige Absolventen machten zurzeit ein Jahrespraktikum in einem Ausbildungsbetrieb, ist Scheele stolz. "Wir haben nach diesen drei Jahren schon viele in Lohn und Brot gebracht."

Shakil, Marlon, Adrian, Hakim und die anderen aus der Mittelstufenklasse genießen derweil ihre Pause. Wenn sie Probleme mit der Wohnung oder dem Aufenthaltsstatus hätten, könnten sie hier im Kolleg immer die Sozialpädagogin ansprechen.

Gleich ist das Fach Deutsch dran. Lehrer Cord Hantke wird mit dem recht unterschiedlichen Sprachniveau zurechtkommen müssen. "Sie sind aber alle unheimlich ambitioniert. Ich glaube, wir sind so etwas wie eine Ersatzfamilie für sie."

Tandem-Projekt

Das Friedrich-List-Berufskolleg unterrichtet derzeit in drei Förderklassen 55 Jugendliche meist aus Kriegsgebieten. Zudem werden Praktika vermittelt. Das Kolleg bringt die jungen Flüchtlinge im Zuge eines Tandem-Projekts in "Eins-zu-eins-Situationen" mit anderen Auszubildenden zusammen. Im Schnitt sind die Prüfungsergebnisse der Absolventen internationaler Klassen sehr positiv. Voraussichtlich nach den Osterferien wird das Kolleg eine weitere Klasse mit 20 Jugendlichen besonders aus Syrien einrichten, die zurzeit in einem Kursus des Vereins Ausbildung statt Abschiebung (AsA) vorbereitet werden.

Infos auf www.flb-bonn.de

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