Älteste Ortsgruppe Deutschlands Godesberger engagieren sich seit 50 Jahren für Amnesty International

BAD GODESBERG · 1968 kam es im Diplomatenviertel der damaligen Bundeshauptstadt zur Gründung einer Godesberger Gruppe von Amnesty International. Sie ist heute die älteste noch existierende in ganz Deutschland.

 Das Foto zeigt die Bad Godesberger Gruppe im 40. Jahr ihres Bestehens: (vorne von links) Gisela Krügel, Ferdinand von Peter, Christine Pastor, Sonja Krapf und Renate Weber sowie (hinten von links) Irmgard Nolden, Klaus Schlott, Winfried Hamacher und Heinrich Sprenger.

Das Foto zeigt die Bad Godesberger Gruppe im 40. Jahr ihres Bestehens: (vorne von links) Gisela Krügel, Ferdinand von Peter, Christine Pastor, Sonja Krapf und Renate Weber sowie (hinten von links) Irmgard Nolden, Klaus Schlott, Winfried Hamacher und Heinrich Sprenger.

Foto: Ronald Friese

Müde wirkt Christine Pastor keineswegs nach nun genau 50 Jahren ehrenamtlicher Arbeit für die Hilfsorganisation Amnesty International (ai). „Unser Einsatz für Verfolgte ist heute genauso wichtig wie bei der Gründung unserer Godesberger Gruppe im Jahr 1968“, betont die 79-Jährige. Die Not der Betroffenen habe sich im Laufe der Jahre nur verschoben: „Anfangs standen wir weltweit für politische Gefangene ein und heute meist für aus Menschenrechtsgründen Verfolgte“, erläutert Pastor.

Und dann berichtet sie von einem aktuelleren Fall einer jungen Frau in El Salvador, die, als sie eine Fehlgeburt erlitten hatte, wegen angeblicher Abtreibung inhaftiert wurde. „Sie haben sie sofort mit Fesseln ans Bett gekettet. Furchtbar“, sagt Pastor. Durch das Engagement zahlreicher ai-Gruppen sei für die junge Frau zumindest eine Haftreduzierung und vorzeitige Entlastung erreicht worden. Auch die Bad Godesberger Gruppe habe sich mit zahlreichen Appellen und Schreiben für die El Salvadorianerin eingesetzt.

„Ich habe im Laufe der Jahrzehnte so viel von Quälereien und Folter erfahren müssen, dass es manchmal nicht auszuhalten war“, sagt Christine Pastor leise. Um dann wieder kämpferisch fortzufahren: „Aber wir bleiben weiter dran.“

Wie kam denn 1968 eine damals 29-jährige Sachbearbeiterin bei der Militärdienststelle der Belgier in Bonn dazu, sich der in Großbritannien gegründeten Hilfsorganisation anzuschließen? Ihre damalige Kollegin Sabine Kretzschmar habe den Anstoß gegeben, eine eigene ai-Gruppe zu gründen, antwortet Pastor. Die Kollegin habe im Radio über die Aktivitäten dieser neuen Organisation gehört. Kretzschmar sei geprägt durch die Berichte ihrer Familie über die NS-Zeit und gleichzeitig wach der eigenen Zeit gegenüber gewesen.

„Unsere Themen waren der Faschismus in Spanien, der sogenannte Eiserne Vorhang im Osten, die Unterdrückung der Bevölkerung dort ohne Chance auf Rede- und Meinungsfreiheit“, erinnert sich Pastor.

Die Kollegin habe sich entschlossen, mit ihren Fähigkeiten und Kräften für eine Veränderung der fatalen Umstände beizutragen. Und Pastor kam mit ins Boot. Das war die Geburtsstunde der „ai-Arbeitsgruppe 1097“. Gruppensprecherin wurde Kretzschmar. Und als diese sich beruflich neu orientierte und Bad Godesberg verließ, übergab sie den Stab im Herbst 1969 an Christine Pastor. Auch Gisela Krügel war eine Mitarbeiterin der ersten Stunde. Als Logo hatte sich Amnesty eine mit Stacheldraht umgebene brennende Kerze gegeben. Und im Kampf zum Schutz der Menschen vor Staatswillkür diente „hauptsächlich die Feder“, wie Pastor sagt.

Mithilfe der Informationen des ai-Sekretariats in London gingen also auch die Godesberger den Nachrichten über politisch Verfolgte und Gewissensgefangene auf der ganzen Welt nach. Sie schrieben und schreiben unzählige Briefe an Regierungen, Staatsanwälte und Gefängnisdirektoren, veranstalten öffentlichkeitswirksame Mahnwachen auf dem Bonner Marktplatz und sammeln Spenden. Etwa auf dem Godesberger Nikolausmarkt sind sie mit dem Anliegen immer präsent.

„Mit viel Geduld und Spucke hat man dann auch fast nur Erfolge“, betont Pastor und verweist auf Fälle, in denen die ai-Gruppen Verfolgte frei bekamen. Der Fall der indonesischen Gewerkschafterin Sri Amba fällt ihr sofort ein. „Die Frau war vor den Augen ihrer Kinder gefoltert worden.“ Die Briefe auch der Godesberger Gruppe seien unbeantwortet geblieben. Setzte man sich für ein Phantom ein, fragte sich die Gruppe – bis ein Lebenszeichen aus Indonesien kam und der Druck der Gruppen Früchte trug.

Nach ihrer Freilassung gründete Sri Amba mit Mitteln der Godesberger ein Studentencafé. „Wir müssen doch auch dafür sorgen, dass die Verfolgten wieder Fuß fassen“, sagt Pastor. Da sei der taiwanesische Dichter gewesen, den man aus chinesischer Gefangenschaft befreite. Pastor traf den Mann später in Paris. „Und ich erinnere mich auch gerne, wie wir mit anderen Gruppen einen Verfolgten im damaligen Rhodesien frei bekamen“, berichtet Pastor.

Hernach habe der Mann sich mit Spendengeldern eine kleine Hühnerzucht aufgebaut. Geschichten wie diese „geben unheimlich viel Auftrieb“, sagt Pastor. Inzwischen ist die Godesberger Initiative der Hilfsorganisation die älteste weiter bestehende ai-Gruppe Deutschlands geworden. Was man am 16. September intern feiern wird. „Und wir machen auf jeden Fall weiter“, sagt Christine Pastor.

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