Filmkritikerin Clara-Maria Schellhoss "Ich bin ein Kuriosum"

BAD GODESBERG · Filmkritikerin Clara-Maria Schellhoss hat Freude am Experimentieren. Sie wohnt in Schweinheim, und zwar ganz hoch oben. "Sind Sie nicht mit dem Fahrrad gekommen?", begrüßt mich die 75-Jährige mit einem Schmunzeln.

 Sie liest viel und verzichtet dafür aufs Internet: Clara-Marie Schellhoss bei sich Zuhause in Schweinheim.

Sie liest viel und verzichtet dafür aufs Internet: Clara-Marie Schellhoss bei sich Zuhause in Schweinheim.

Foto: Martina Sondermann

Nein, das bin ich nicht, weil ich es zugegebenermaßen konditionell nicht geschafft hätte. Anders Frau Schellhoss. Die passionierte Radfahrerin strampelt täglich den Berg hoch. "Mit nur einmal Absteigen am Friedhof", räumt sie ein, "da sonst die Kette reißt." Respekt.

"Ursprünglich war ich ja mal Lehrerin", erzählt die gebürtige Stettinerin, "aber nur anderthalb Jahre." Als ihre Tochter auf die Welt kam, bot Schellhoss "Gymnastik & Literatur" an, machte Moderationen und Hörspiele. "Ich hatte immer Freude, etwas auszuprobieren und mich auf meinen Kopf zu verlassen", erinnert sie sich.

Nach einer Ausbildung in "Spielfilmberatung und -analyse" leitete Schellhoss wöchentliche Filmdiskussionen im Bergheimer Kino. "Dort war ich schon so etwas wie eine Kulturinstitution", konstatiert sie. Mit 60 startete sie dann noch mal durch und pendelte bis vor acht Jahren jeden Monat von Bonn nach Berlin und München, um unter anderem junge Regisseure und deren Filme vorzustellen. "Im größten Kino am Stachus", erzählt sie stolz.

Als das Kinopolis in Bad Godesberg gebaut wurde, hat sich die Filmliebhaberin quasi selbst vorgeschlagen. Seit 19 Jahren bietet sie mit Unterstützung der Evangelischen Akademie Rheinland monatlich einen von ihr ausgewählten Film mit anschließender Gesprächsrunde an.

Schellhoss sucht ganz bewusst auch junge Regisseure aus, die sich teils sogar bei ihr Zuhause einquartieren, um ihren Film im Kinopolis vorzuführen. "Irgendwie bin ich die 'Mutter Teresa' für Low-Budget-Produktionen", feixt sie.

Ihrer Einladung zu "Film und Diskussion" folgen meist 80 bis 100 interessierte Kinobesucher, von denen etwa die Hälfte zum Gespräch bleibt. Bei Filmen wie "Zwei Tage, eine Nacht", dessen Hauptfigur zeitweise in Depressionen verfällt, wird es auch mal persönlich. "Dann erzählen Besucher ganz offen von ihren eigenen Erlebnissen", berichtet Schellhoss, die stets darauf achtet, dass weder Gefühle bewertet werden noch politisch diskutiert wird.

Das ist bei einem Spielfilm wie "Das Mädchen Wajdja", der in Saudi-Arabien von einer Frau gedreht wurde, nicht immer einfach. "Da musste ich aufpassen", erinnert sich Schellhoss, "und einen Tick strenger sein, um es im Griff zu haben." So versucht sie immer wieder, das Gespräch auf die filmischen Mittel zu lenken.

Clara-Maria Schellhoss verzichtet ganz bewusst auf neue Medien. "Ich habe kein Internet", gibt sie freimütig zu. "So kann ich im Vorfeld auch keine Filmkritiken recherchieren und bin gezwungen, selbst zu denken." Ihre Filmrezensionen reicht sie handschriftlich ein.

In den vergangenen elf Jahren hat die Kinopolis-Zentrale in Darmstadt die Filmkritikerin ganz offiziell zur Berlinale gesandt. Dafür musste sie auf den Schweinheimer Karnevalszug vor ihrer Haustür verzichten und mit einer geliebten Tradition brechen: "Mein Mann und ich haben immer Berge von Schmalzbroten geschmiert und im Zug angeboten."

Seit fast 50 Jahren ist Ehemann Hans-Wilhelm an ihrer Seite. "Mein Mann ist meinen Exzessen ausgeliefert", gesteht Schellhoss, "und erträgt sie mit Geduld". Der pensionierte Jurist respektiert ihre Neugier und Experimentierfreudigkeit. "Ich bin ein Kuriosum", stellt sie unverblümt fest, "was ich aber nicht schlimm finde".

Der nächste Termin von "Film und Diskussion" im Kinopolis Bad Godesberg am Moltkeplatz ist heute, Montag, um 20.15 Uhr. Es läuft "Birdman", eine Mischung aus Künstlerdrama, Satire und Komödie.

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