Medizinische Behandlung Kriegsversehrte Libyer warten in Godesberg vergeblich

BAD GODESBERG · Sind zwei Dutzend Medizintouristen in Bad Godesberg Opfer eines Betrugs geworden? Dieser Verdacht steht zumindest angesichts der Odyssee im Raum, die die Männer jetzt nach acht Monaten hinter sich haben. Vor wenigen Tagen sind die letzten von ihnen in ihre Heimat zurückgekehrt. Und zwar ohne die erhoffte Heilung.

 Am Medizinstandort Godesberg gab es für sie keine medizinische Behandlung: Gepreil El Saiti (links) und Khaled Alzwai.

Am Medizinstandort Godesberg gab es für sie keine medizinische Behandlung: Gepreil El Saiti (links) und Khaled Alzwai.

Foto: Rüdiger Franz

Bedrückt stehen Khaled Alzwai und Gepreil El Saiti vor der Villa in Bad Godesberg, hinter deren Fassade sie sich eigentlich Genesung versprochen hatten. Der 45-jährige Alzwai hat im libyschen Bürgerkrieg eine Schussverletzung erlitten, bei der ein Nerv im Arm derart beschädigt wurde, dass der Buchhalter ihn nur noch mit Mühe benutzen kann. Hinzu kommen ein Meniskusschaden und Probleme mit den Augen.

Alzwais drei Jahre jüngerer Landsmann, von Beruf Lkw-Fahrer, kann seit einer Bombendetonation nur noch äußerst schwer hören. Die Behandlung in der Heimat gestaltet sich aufgrund der anhaltenden Kriegswirren und der schlechten medizinischen Versorgung schwierig.

Dann naht vermeintlich Hilfe. In Gestalt eines deutschen Medizinprofessors. In libyschen Krankenhäusern akquiriert er Patienten, deren Behandlung er in Deutschland übernehmen wolle. Kein Einzelfall: Auch andernorts werden jahrelang Tausende Patienten an deutsche Kliniken vermittelt. Die stattlichen Honorarforderungen soll im Wesentlichen der libysche Staat tragen, von dem noch vor Abreise der Patienten ein Drittel der Gesamtsumme - im konkreten Fall rund 100.000 Euro pro Patient - als Vorkasse erwartet wird.

Die Scharnierfunktion übernimmt ein Vermittlungsbüro. Vergleichbare Fälle aus anderen Regionen Deutschlands geben Hinweise darauf, dass der "Handel" mit Bürgerkriegsversehrten lukrativ zu sein scheint. Vorwürfe wegen fingierter oder überhöhter Rechnungen stehen ebenso im Raum wie der Verdacht auf Alibibehandlungen, doppelte Provisionsforderungen, Geldwäsche und Korruption. Zugleich warten in anderen Fällen aber auch korrekt handelnde deutsche Kliniken bis heute vergeblich auf ihr längst verdientes Geld aus Libyen.

Zurück nach Bad Godesberg: Wer im konkreten Fall für das schmutzige Spiel mit den Patienten aus Nordafrika zur Verantwortung zu ziehen ist, dürfte sich wohl erst in einem Prozess ermitteln lassen. Versuche, mit dem Professor und den libyschen staatlichen Stellen über den Fall zu sprechen, schlugen bislang fehl. Unklar ist etwa, ob das Geld je afrikanischen Boden verlassen hat, oder ob es in Deutschland versickerte. Offenkundig ist nur: Die versprochene medizinische Therapie hat nie stattgefunden, von der Heilung ganz zu schweigen.

Direkt nach ihrer Ankunft Ende August beginnt "das Spiel", schildern Alzwai und El Saiti ihre Erlebnisse: "Fünf oder sechs Mal" treffen sie zwar den Professor in seiner "Klinik" persönlich. Statt ernsthaft mit der Behandlung zu beginnen, händigt er ihnen ein "Taschengeld" von jeweils etwa 1000 Euro aus. Geld, mit dem die Patienten während ihres erzwungenen Nichtstuns in Bonn Unterkunft und Lebensunterhalt zu bestreiten haben.

Hinsichtlich des eigentlichen Zwecks ihres Aufenthalts erklärt ihnen der Arzt, das vereinbarte Geld vom libyschen Staat bislang nicht erhalten zu haben, und vertröstet sie immer wieder. Dass die vermeintliche Klinik, wie er einmal entschuldigend ausführt, noch nicht fertig sei, möchte man ihm allerdings heute noch glauben. Ein Namens- oder Klingelschild an dem Anwesen im Herzen Bad Godesbergs gibt es nicht, hinter den blinden Fensterscheiben verlieren sich einige Fitnessgeräte.

Auf seinem Briefpapier mit der standesgemäßen Anschrift legt der Professor offenbar etwas mehr Wert auf Etikette: "Bitte überweisen Sie umgehend die vorläufige Gesamtsumme von 1 062 933,26 Euro" legt er der libyschen Botschaft im Dezember 2013 die Zahlung einer Tranche in einem Brief nahe, der dem General-Anzeiger vorliegt. Insgesamt geht es darin offenbar um 34 Patienten, die 2013 zunächst auf die geschilderte Weise nach Bad Godesberg vermittelt worden waren. 26 von ihnen seien tatsächlich hier gewesen, wirklich behandelt wurde keiner, sagen Alzwai und El Saiti.

Ohne jegliche Deutschkenntnisse schlagen sie monatelang die Zeit tot. Als sich im Frühjahr ihr Verdacht erhärtet, Opfer eines großen Schwindels geworden zu sein, tritt ein Großteil der 26 Libyer frustriert auf eigene Faust die Heimreise an. Die verbliebenen Vier wagen einen letzten Versuch: Ein (anderer) Arzt und ein Rechtsanwalt werden konsultiert. Auf 25 000 Euro veranschlagt der Arzt etwa die Kosten für Alzwais immer dringender werdende Meniskus-OP.

Geld, das der 45-Jährige aber nicht hat. Der Anwalt prüft inzwischen mögliche Schadenersatzansprüche und erwägt auch Anzeigen wegen Betrugs. Mit dem Auftauchen des Juristen, so die Betroffenen, ändert der Professor seine Taktik und setzt die "Unterhaltszahlungen" aus. Den Vorwurf der Nichtbehandlung lässt er per anwaltlichem Schreiben weit von sich weisen. Schließlich, so jedenfalls erzählen die verbliebenen Libyer, bietet er jedem von ihnen 5000 Euro an - unter der Bedingung, dass sie ihm die Durchführung der Behandlung mittels Unterschrift bestätigen.

Und doch: Womöglich hat das Scheitern für die Betroffenen auch sein Gutes. Vor sechs Jahren tauchte der Name des Professors, dessen Name der Redaktion bekannt ist, in einem Strafverfahren in Dresden auf. Der Vorwurf: mehrfache fahrlässige Tötung in seiner Funktion als Chefarzt an einem städtischen Krankenhaus. Erstaunliches offenbart ein Besuch auf der Internetseite der angeblichen Klinik: Sie leitet den Besucher automatisch zu einer anderen Godesberger Praxis weiter. Und auch die machte vor wenigen Jahren auf unrühmliche Weise von sich reden, als sich eine Ärztin - zum nunmehr dritten Mal in ihrer beruflichen Laufbahn - wegen des Todes eines von ihr behandelten Patienten vor Gericht verantworten musste.

"Wir sind sehr enttäuscht", sagt Khaled Alzwai. Und fügt - als sei er es, dem die Situation leid tun müsse - rasch hinzu: "Wir haben immer noch Vertrauen in Deutschland." Rechnen sie die monatelangen Verdienstausfälle zu Hause ein, so beziffern Alzwai und El Saiti ihren Verlust auf jeweils rund 20.000 Euro. Mit dieser Bürde - und den inzwischen schlimmer gewordenen Gebrechen - haben sie nun den Heimflug von Köln/Bonn angetreten. Nach acht verlorenen Monaten am Medizinstandort Bad Godesberg.

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