Autonom und nicht angepasst Leiter des Godesheims fordert neue Ethik der Kinderhilfe

BONN · Klaus Graf, Geschäftsführer mehrerer Einrichtungen der Evangelischen Axenfeld-Gesellschaft Bonn, fürchtet angesichts drohender Kürzungen der Stadt Probleme im Bereich Jugendarbeit.

 Klaus Graf vor einer seiner Axenfeld-Einrichtungen, dem Kindergarten Rotdornweg.

Klaus Graf vor einer seiner Axenfeld-Einrichtungen, dem Kindergarten Rotdornweg.

Foto: Hagenberg-Miliu

"Hier bestehende und bewährte Strukturen zu zerschlagen wird sich inhaltlich für die betroffenen Jugendlichen nachteilig auswirken und sich nach meiner Überzeugung auch finanziell dauerhaft nicht rechnen, weil damit auch präventive Möglichkeiten aus der Hand gegeben werden", sagte Graf dem GA.

Er hat gerade mit dem Titel "Ethik der Kinder- und Jugendhilfe" ein Fachbuch zur Zukunft der Jugendhilfe herausgegeben. Die Axenfeld-Gesellschaft unterhält in Bonn neben der Jugendhilfe Godesheim zahlreiche Kindertagesstätten, Behinderteneinrichtungen und ein medizinisches Versorgungszentrum.

"Aus Sicht eines Trägers der freien Jugendhilfe kann ich nur sagen, dass wir bereits heute keine auskömmliche Finanzierung im Bereich Jugendarbeit haben. Wir müssen bereits heute Geld mitbringen, um diese Arbeit tun zu können", erläuterte Graf. Im Bereich der Pflichtleistungen wie den Hilfen zur Erziehung erlebe er aber Bonn im Vergleich mit anderen Kommunen als eine Stadt, die bestehende Rechtsansprüche klar umsetze.

Er mache sich aktuell für einen gemeinsamen ethischen Ansatz für alle Akteure der Jugendhilfe stark, unabhängig von ihrem religiösen oder weltanschaulichen Hintergrund, sagte der promovierte Theologe und Diplom-Sozialarbeiter. Beim Helfen komme es also nicht darauf an, den vermeintlich richtigen Glauben zu besitzen, sondern schlicht aus Mitmenschlichkeit zu handeln. "Wichtig ist allerdings, was Würde, Freiheit und Gerechtigkeit sowie, in einer multikulturellen Gesellschaft, was Toleranz in christlicher Perspektive bedeuten", so Graf.

Das Aufwachsen von Kindern habe sich in den letzten Jahrzehnten grundlegend gewandelt. Vieles, was früher ausschließlich in der Familie oder auf der Straße stattgefunden habe, sei heute in Institutionen verlagert. "Eltern und Sorgeberechtigte nehmen immer häufiger Beratungsstellen in Anspruch. Die große Mehrzahl der Bevölkerung kommt heute irgendwann mit der Jugendhilfe in Berührung", sagt Graf.

Sucht, psychische Erkrankungen und Kinderarmut stiegen an. Deshalb trage die Jugendhilfe immer mehr Verantwortung für die außerschulische Erziehung junger Menschen. Da müssten Werte immer wieder neu auch in den Institutionen plausibel gemacht werden.

Was bedeutet es, dass Kinder ihre eigene Würde besitzen? "Provokativ ausgedrückt: Wem gehören unsere Kinder eigentlich? Den Eltern, dem Staat, der Wirtschaft oder sich selbst?", fragt Klaus Graf. Ziel müsse doch sein, Kinder zu größtmöglicher Autonomie und nicht zu größtmöglicher gesellschaftlicher Anpassungsleistung zu erziehen. "Wie können wir also möglichst Ungleichheiten in den Lebenslagen unserer Kinder ausgleichen? Wie können wir eine tolerante Haltung entwickeln, die mehr ist als ein bloßes Dulden von Anderssein?"

Klaus Graf, Ethik der Kinder- und Jugendhilfe. Grundlagen und Konkretionen, Kohlhammer Verlag 2014, 29,99 Euro

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