Touristen-Info und Kummerkasten auf dem Theaterplatz Mitten im Leben
BAD GODESBERG · Der Mann verkauft heiße Ware. Im Minutentakt gibt er Brat- und Currywurst heraus, im Brot, ohne Brot. Oder Crêpes, zum Beispiel mit Käse und Schinken, oder für die, die es nicht nur heiß, sondern auch süß mögen, mit Nutella.
Es ist kurz nach 14 Uhr, die Sonne scheint. Eigentlich eine günstige Zeit, um sich mit dem Mann in dem mobilen Imbissstand ein bisschen zu unterhalten. Aber da sind gerade ein paar Schüler, die ganz dringend etwas auf die Hand brauchen. Die nächste Kundin ist Ingeborg Stocker, unüberhörbar Schwäbin, wohnhaft in Friesdorf, seit 16 Jahren Stammkundin: "Ich bin wirklich sehr zufrieden mit ihm, er bietet die besten Würstchen in ganz Bonn an", meint sie. Es folgt ein kleiner Monolog übers Ländle, über die Rheinländer, die Enkel ... und: "Der Nächste bitte."
Wer Rüdiger Brauer nicht kennt, kennt Bad Godesberg nicht. Oder sagen wir: Nicht wirklich. Denn wo, wenn nicht im Herzen des Stadtbezirks, auf dem Theaterplatz, wird Wirklichkeit am besten abgebildet? Wer da dem Volk nicht nur zusieht, wie es rauf und runter läuft, sondern gar aufs Maul schaut, der weiß, was die Godesberger bewegt. "Heute könnte ich mir wieder ein kleines i für Info aufs Dach stellen", erzählt Brauer amüsiert. "Der Eine will wissen, wo die nächste öffentliche Toilette ist, der Zweite wo's am besten auf die Godesburg geht und der Dritte fragt, ob es das Bürgeramt im Rathaus noch gibt."
Der Platz gleich gegenüber vom Eingang der Kammerspiele ist Brauers Zuhause, zumindest tagsüber. Seit 16 Jahren steht der 46-Jährige in seiner "Heißen Hütte", sechs Tage die Woche von 8 bis 20 Uhr, im Sommer bis 22 Uhr, Auf- und Abbau eingeschlossen. Selbst den Gang zur Toilette "verkneift" er sich, er ist so konditioniert.
Nur wenn er mal die Gasflasche wechseln muss, ist er kurz weg. Dann sagt er den Kollegen von der "Saftoase" gegenüber Bescheid, damit alles noch da ist, wenn er zurückkommt. Passiert ist noch nie etwas. Nur neulich, da hatte ihm ein Kunde einen falschen 50-Euro-Schein untergejubelt. "Das war in all den Jahren das erste Mal. Dass mir als altem Hasen so etwas passiert..." - Rüdiger Brauer schüttelt ungläubig den Kopf.
Die Menschen, die bei ihm einen Zwischenstopp einlegen, sei es für den kleinen Imbiss zwischendurch, sei es, um ein Schwätzchen zu halten, schütten oft genug ihr Herz aus: "Ich erfahre einfach alles: von einer Erkrankung bis hin zu Beziehungsproblemen", erzählt er. Wo wir beim Privaten wären: Der gebürtige Braunschweiger lebt seit über 20 Jahren in Beuel. "Den Abstand brauche ich einfach, da drüben kennen mich eben nicht so viele Menschen, da kann ich dann eher privat sein", sagt er.
Seit Brauer vor einem halben Jahr auch noch in den Vorstand von Bad Godesberg Stadtmarketing gewählt wurde, fühlt er sich manchmal wie eine Art Kummerkasten für alle ungelösten Probleme der Kommune. "Viele Bürger beschweren sich über dies und jenes, und denken auch noch, ich sei quasi ein offizieller Vertreter der Stadt Bonn." Warum tut er sich ein anstrengendes Ehrenamt an? "Als es im vergangenen Jahr nicht gut aussah um den Verein, wollte ich Stadtmarketing retten. Ich wollte unbedingt, dass es weitergeht: mit Weihnachtsmarkt, Trödelmarkt und Sommerfest. Um die Stadt attraktiv zu halten, deshalb habe ich kandidiert", sagt Brauer.
Seine Eltern wollten, dass der Junge studiert, dass was Ordentliches aus ihm wird. Doch schon der kleine Rüdiger träumte davon, Schausteller zu werden. Nach einer Ausbildung zum Bürokaufmann arbeitete Brauer bis vor zehn Jahren als Angestellter bei der Internationalen Organisation für Migration in Bad Godesberg. Schon während dieser Zeit baute er sich mit einem kleinen, fahrbaren Würstchenstand am Fuße der City-Terrassen ein zweites Standbein auf.
Als die Organisation 2005 nach Nürnberg zog, setzte er ganz auf Crêpes und Würstchen, tauschte Bürostuhl gegen Imbisswagen. Mittlerweile hat Brauer sieben Imbisswagen, die zwar nie zur selben Zeit im Einsatz sind, aber immer mal gebraucht werden. Schließlich gibt's ja noch Pützchens Markt, den Bonner Weihnachtsmarkt und weitere Einsatzorte. "Mir geht's wirklich nicht schlecht", betont er, "und von den Leuten kriege ich viel Positives zurück." Familienfreundlich ist sein Job sicher nicht, vermutlich ein Grund dafür, dass er bislang ledig geblieben ist.
Gegen halb fünf beginnt die heiße Zeit an der "Heißen Hütte". Der Andrang ist groß. Es kommen übrigens auch viele Araber. "Und wenn die feststellen, dass ich einige Brocken Arabisch spreche, freuen die sich total und verewigen mich per Video auf ihrem Smartphone", erzählt Rüdiger Brauer. Auch eine Form von Stadtmarketing.