Interview über Schulen in Bonn Mobbing-Beauftragter am Aloisiuskolleg will kein Sheriff sein

Bonn / Bad Godesberg · Frank Ennen ist Mobbing-Beauftragter am Aloisiuskolleg in Bad Godesberg. Er versucht mit Kollegen, betroffenen Schülern zu helfen. Am Gymnasium findet nun eine Fortbildung statt.

 Mobbing-Opfer sind nicht selten allein mit ihrem Kummer. Die Lehrer am Aloisiuskolleg wollen ihren betroffenen Schülern helfen.

Mobbing-Opfer sind nicht selten allein mit ihrem Kummer. Die Lehrer am Aloisiuskolleg wollen ihren betroffenen Schülern helfen.

Foto: picture alliance / dpa-tmn/Silvia Marks

Frank Ennen unterrichtet Musik und Sport am Aloisiuskolleg. Zusammen mit seiner Kollegin Claudia Grenzmeier bildet er das Anti-Mobbing-Team der Schule, das Schülern bei Konflikten oder Sorgen hilft. Mit Ennen hat Dennis Scherer gesprochen.

Würden Sie sagen, dass Sie einen sehr ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit haben?

Frank Ennen: Ja, ohne dass ich mich als Sheriff fühle und meine, für Gerechtigkeit und Ordnung sorgen zu müssen. Ich möchte alle Betroffenen an einen Tisch holen, um der Gerechtigkeit auf die Beine zu helfen.

Sie haben das Anti-Mobbing-Team vor acht Jahren mit ins Leben gerufen. Warum war Mobbing ein Thema für Sie?

Ennen: Durch die eigene Schulzeit, das Studium und die ersten Jahre als Lehrer. Da hieß es oft: „Komm, gebt euch mal die Hand, und dann ist wieder gut.“ Das kann nicht funktionieren, weil der eigentliche Konflikt damit nur zugedeckt oder vertagt wird. Mein Anliegen war, dass es den Betroffenen besser geht.

 Frank Ennen ist Anti-Mobbing-Beauftragter am Aloisiuskolleg

Frank Ennen ist Anti-Mobbing-Beauftragter am Aloisiuskolleg

Foto: privat

Wie sieht Ihre Arbeit aus?

Ennen: Ich treffe mich regelmäßig mit meiner Kollegin. Dann sprechen wir darüber, ob uns Fälle zugetragen wurden, in denen Schülern geholfen werden muss, weil sie gemobbt werden.

Wann spricht man eigentlich von Mobbing?

Ennen: Der Begriff wird sehr inflationär verwendet. Mobbing bedeutet: Ein Einzelner – in der Klasse oder am Arbeitsplatz – wird von einer Gruppe über eine längere Zeit verbal oder non-verbal drangsaliert. Das kann über Wochen und Monate gehen.

Was passiert, wenn Sie feststellen, dass ein Schüler gemobbt wird?

Ennen: Wir bitten den Schüler um ein Gespräch. Bisher ist es nie vorgekommen, dass er dann sagt: „Nö, mir geht es gut. Ich weiß gar nicht, was ihr habt“. Im Gegenteil: Die Personen waren meist erleichtert, dass sie mal erzählen konnten. Die Maßgabe ist, dass diese Dinge den Raum nicht verlassen. Das öffnet bei den Betroffenen meist Tür und Tor.

Wie geht es dann weiter?

Ennen: Wir machen ein Gruppengespräch mit acht Schülern. Nach der Eröffnungsrunde sagen wir, wem es nicht gut geht und dass es nicht um Strafe und Sanktionen geht. Das nennt sich No-Blame-Approach (Ansatz ohne Schuldzuweisung, Anm. d. Red.). Wir lassen die Schüler dann aufschreiben, was sie dem Betroffenen Gutes tun können und lassen sie es dann vorlesen. In den Wochen danach führen wir Einzelgespräche mit allen Beteiligten, angefangen beim Betroffenen.

Wenn der Ansatz No-Blame heißt, vermittelt das nicht den Eindruck, Mobbing sei nicht zu verurteilen?

Ennen: Der Begriff arbeitet mit einer Provokation. Im Alltag geht es immer um Schuldzuweisung. Wir versuchen, den Teufelskreis von Schuld und Ahndung zu durchbrechen, damit es sich nicht immer weiter hochschaukelt. Es heißt nicht, dass wir es nicht verurteilen, wenn eine Gruppe jemanden aufs Korn nimmt. Natürlich tun wir das. Wir wollen aber alle Akteure ins Boot holen.

Und das ist das Patentrezept, mit dem sich jeder Mobbing-Fall lösen lässt?

Ennen: Wir haben im Jahr etwa fünf Fälle an der Schule. In den acht Jahren, in denen ich das mache, waren es 40 bis 45 Fälle. Die Erfolgsquote liegt so bei 95 Prozent. Ich erinnere mich nur an zwei Fälle, bei denen es nicht geklappt hat.

Hat sich das Mobbing durchs Internet verändert? Schüler sind Attacken unter Umständen permanent ausgesetzt.

Ennen: Ja, durch Facebook und Whats-App eskaliert es schneller. Meine Generation hat noch über vieles gesprochen oder es non-verbal ausgetragen. Kinder können Dinge heute viel schlechter zur Sprache bringen – von mir aus auch als Fluch. Aber je weniger gesprochen wird, desto mehr leiden die Betroffenen.

Mit non-verbal meinen Sie: Sich eins auf die Zwölf zu geben?

Ennen: Vielleicht war es gesünder, eins auf die Zwölf zu bekommen – und dann gut –, als monatelang seelisch zu leiden. Die Macke auf der Nase verheilt. Was ich in der Seele erleide, trage ich auch noch als Erwachsener mit mir rum.

Was sollten Eltern tun, wenn ihre Kinder gemobbt werden?

Ennen: Wir bitten darum, dass Eltern von Betroffenen nicht bei den Eltern der Akteure anrufen. Dann entwickelt sich ein Teufelskreis, wo Eltern sich gegenseitig zoffen. Dann können wir nichts mehr machen. Sie sollten so etwas dem Klassenlehrer oder der Schulleitung mitteilen.

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