Von Bonn nach Berlin So lebt und arbeitet die Stadtschreiberin Ulla Lenze

Bad Godesberg · Ulla Lenze lebt und arbeitet dank des Literaturstipendiums für drei Monate in Bonn. Ihre Wohnung im Villeniertel erinnert sie an ihre Jugend.

 Seit vier Wochen lebt Ulla Lenze dank des Literaturstipendiums in Bad Godesberg.

Seit vier Wochen lebt Ulla Lenze dank des Literaturstipendiums in Bad Godesberg.

Foto: Axel Vogel/AXEL VOGEL

Konzentriert tippt Ulla Lenze eine Passage ihres kommenden Romans in den Laptop. Von ihrem derzeitigen Schreibtisch im Villenviertel aus blickt Bonns aktuelle Stadtschreiberin auf die letzten Blüten eines Magnolienbaums. Vor den Erkern und Balkönchen der Gründerzeithäuser in der Straße rieselt herbstbuntes Laub herunter. In verwunschenen Gärten ranken wilde Rosen. „In diesem idyllischen Viertel erinnere ich mich an meine Kindheit und die Studentenzeit im Rheinland“, sagt die 47-jährige Erfolgsautorin, die aus Mönchengladbach stammt, in Köln Musik und Philosophie studierte und seit zehn Jahren in Berlin wohnt. Der Aufenthalt in Bonn komme ihr einerseits wie ein Ausflug in die Vergangenheit vor. „Aber natürlich hat sich Bonn auch erheblich verändert, hat sich neu finden müssen, was ich sehr spannend finde“, sagt Lenze und schildert, wie sie als Kind mit der Familie Ausflüge in die damalige Hauptstadt unternahm.

Seit dem 1. September lebt und arbeitet Lenze für drei Monate in der Rhein-nahen Stadtschreiberwohnung, die ihr vom Verein Lese-Kultur Godesberg zur Verfügung gestellt wird. Das Amt wird seit 2018 vom Verein und der Ferdinande-Boxberger-Stiftung mit 2500 Euro im Monat gefördert. Schirmherrin ist die Kulturdezernentin. „Wir geben Ulla Lenze die Möglichkeit, hier in Bonn ohne Zeitdruck und finanzielle Sorgen ihr nächstes literarisches Projekt zu verfolgen“, erklärt Barbara Ter-Nedden für den Verein. In diesem Jahr hätten sich für das Stipendium 130 Autoren beworben, „und die Wahl fiel uns schwer“. Für Lenze habe sich die Jury entschieden, weil sie ein beachtliches poetisches Werk vorgelegt habe, dem eine hohe Musikalität der Sprache innewohne. „Ausschlaggebend war aber für uns auch, dass ihr neues Buchprojekt einen Bezug zum Rheinland hat“, erklärt Ter-Nedden.

Niederrheinischen Literaturpreis erhalten

Lenze nickt. Sie ist durch Romane wie „Schwester und Bruder“ (2003), „Die endlose Stadt“ (2015) und „Der Empfänger“ (2020) bekannt geworden. Kürzlich wurde ihr der Niederrheinische Literaturpreis verliehen. „In meinem neuen Buch geht es im weitesten Sinne um die Frage nach Herkunft und Identität, es geht um eine individuelle Geschichte im Spannungsfeld der großen gesellschaftlichen Umbrüche der letzten 30 Jahre“, erläutert Lenze. Als 16-Jährige sei sie für ein halbes Jahr vom Niederrhein nach Indien gegangen: „Mein erster Bruch im Leben war das.“ Hier am Rhein spüre sie dem damaligen Abschied noch einmal nach. Sie habe das Beethovenhaus, die Universität und vor allem das Rheinufer gleich wiedererkannt. Der Geruch des Flusses von Diesel und Teer, seine schlammbraune Farbe, die weite Sicht, all das erinnere sie daran, „wie ich gewesen bin“, sagt Lenze. Auf dem Schreibtisch liegen auch eine Mappe mit Notizen und ein Aufnahmegerät, mit dem sie unterwegs alle Gedanken sofort speichert.

Am besten schreibe sie direkt morgens, bekennt die Autorin. „Da bin ich noch barmherziger mit meinen Texten und nicht so kritisch wie am Nachmittag.“ Lenze lächelt. Zudem sei sie noch in der ersten Phase ihres Romans, „in der ich mich an der langen Leine lasse“. Sie empfinde es als großes Glück, dass sie gerade in der für Künstler so entbehrungsreichen Corona-Zeit das Bonner Stadtschreiberamt ausfüllen dürfe. „Literaturstipendien sind wunderbar, sie sind eine wichtige Form der Anerkennung.“ Denn eine der Einkommenssäulen aller Autoren, die Lesungen, sei ja über Monate weggefallen. In Bonn sei sie bei ihrem ersten Auftritt im Schauspielhaus und im Verein Lese Kultur Godesberg mit erfreulicher Herzlichkeit aufgenommen worden, sagt Lenze dann dankbar zu Barbara Ter-Nedden. „Man hat mir in dieser Wohnung sogar einen ausgezeichneten Wein bereitgestellt.“

Im Amos-Comenius-Gymnasium habe sie mit engagierten Schülern über das Schriftsteller-Sein diskutiert. „Mir gefallen die überraschenden, unzensierten Gedanken und Reaktionen junger Menschen“, meint die 47-Jährige. Morgen früh wird sie an ihrem neuen Roman weiterschreiben. „Im Vergleich zu Berlin habe ich ja eine unglaubliche Ruhe hier.“ Und dann blickt sie wieder aus ihrem Fenster, vor dem das bunte Herbstlaub des Villenviertels von den Bäumen schwebt.

Der nächste öffentliche Termin: Ulla Lenze wird am 7. November ab 12 Uhr bei einer besonderen Aktion der Parkbuchhandlung, Koblenzer Straße 57, 53173 Bonn, „den Betrieb übernehmen“ und die Kunden beraten. Zudem wird sie dann in zwei Etappen ihre zehn Lieblingsbücher vorstellen.

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