Mitarbeiter des Godesburgers berichten Wenn die Tagesstruktur fehlt

Bad Godesberg · Der Godesburger beschäftigt Menschen, die auf dem normalen Arbeitsmarkt kaum Chancen haben. Die Schließung erschwert ihren Alltag.

 Für das Gespräch sind (v.l.) Jochen Griewaldt, Godesburger-Chef Bruno Straub, Jürgen Weber-Kölln, Christian Berton und Fachbereichsleiterin Bettina Sander-Leppelt in die Beratungsstelle „M2“ am Moltkeplatz gekommen.

Für das Gespräch sind (v.l.) Jochen Griewaldt, Godesburger-Chef Bruno Straub, Jürgen Weber-Kölln, Christian Berton und Fachbereichsleiterin Bettina Sander-Leppelt in die Beratungsstelle „M2“ am Moltkeplatz gekommen.

Foto: Benjamin Westhoff

Es sind drei „A“, die dem Leben von Christian Berton Struktur geben. Aufstehen, Anziehen, Arbeiten, das braucht der 35-Jährige, um gut durch den Tag zu kommen. Da der Bad Godesberger starker Epileptiker ist, so erzählt er, habe er auf dem ersten Arbeitsmarkt keine Anstellung gefunden: „Ich wurde eher abgeschoben.“ Seit 2014 jedoch macht er im Team des Restaurants „Godesburger“ mit. Corona aber hat ihm den Anlass für alle „A“ genommen.

Was das bedeutet, kann Bettina Sander-Leppelt erklären. Sie ist die Leitung des Bereichs „Tagesstruktur“ der Gemeindepsychiatrie Bonn-Rhein-Sieg. Die gemeinnützige Gesellschaft aus Beuel betreibt in Bad Godesberg zum einen den Godesburger, eine inklusive Imbiss-Gastronomie. Zum anderen direkt nebendran die Kontakt- und Beratungsstelle „M2“ am Moltkeplatz. „Als im März von jetzt auf gleich das Betretungsverbot kam, war das eine Katastrophe für uns und unsere Besucher“, sagt Sander-Leppelt.

35 Besucher hätten täglich in dem caféartigen Raum vorbeigeschaut. „Unser Zugang ist niederschwellig, heißt, alles läuft anonym, sodass wir niemanden kontaktieren konnten“, erzählt die Bereichsleiterin. Beratung, Gespräche, der Wochenplan mit kreativen Kursen wie Musik, Malen, Filmen, Lesung – all das brach weg. Aushänge informierten über Ersatzangebote. „Unsere Telefone sind seitdem verstärkt besetzt, manchmal sind wir für die Anrufer der einzige Kontakt am Tag“, betont Sander-Leppelt.

Nicht alle haben psychische Beeinträchtigungen, sondern kommen einfach gerne. So wie Jürgen Weber-Kölln. „Ich habe hier Freunde gefunden“, sagt der 68-Jährige. Er ist von Geburt an gehbehindert, nutzt seit sechs Jahren einen Rollstuhl als Hilfsmittel. Für die katholische Kirche engagiert er sich ehrenamtlich im Lotsenpunkt, freut sich dann aber am Nachmittag, das große Angebot an Zeitschriften im M2 zu studieren.

Dank eines sehr strengen Schutz- und Hygienekonzepts dürfen Weber-Kölln und andere nach vorheriger Terminvereinbarung nun in Kleinstgruppen wieder kommen, Temperaturmessung, Datenerfassung und Mund-Nasen-Schutz inklusive. Von dem Angebot könnte auch Jochen Griewaldt Gebrauch machen, aber dann sind da diese Tage, wo die Energie fehlt, selbst den Schlafanzug gegen Straßenkleidung zu tauschen. „Ich bin alleine zu Hause, mir fällt oft die Decke auf den Kopf“, erzählt er auf der anderen Seite. Deshalb war der 65-Jährige froh, noch für zwölf Stunden pro Woche im Godesburger als Küchenhilfe mitzuarbeiten.

Doch jetzt gibt es nur noch Leere. Die hätte sich Griewaldt früher gewünscht, als der Fliesenleger und Schreiner viele Stunden pro Woche abriss. Zu viele, denn irgendwann rutschte er etwas ab, die starke Diabetes beeinträchtigte ihn zusätzlich, wie er durchblicken lässt. „Er muss was machen, und wenn er das nicht hat wie aktuell, hat er ein Problem“, sagt Restaurantleiter Bruno Straub über seinen Mitarbeiter. Immerhin am Telefon kann der Chef für ihn wie die übrigen Kollegen da sein: sieben Menschen mit Behinderung, davon zwei Taubstumme, zwei Schichtleiter, sowie zehn Teilzeitkräfte.

Da das Restaurant im November gemäß Corona-Verordnung erneut schließen musste, sind alle in Kurzarbeit. Das ist der monetäre Aspekt, die fehlende Nähe der andere. „Und dabei hatten wir zwischendurch wieder ein gutes Geschäft ohne Corona-Fälle, die Menschen haben uns vertraut“, sagt der frühere Schweizer Sternekoch auch ein wenig verbittert. Straub ist nicht nur Küchenchef, sondern auch Fels in der Brandung für die Mitarbeiter. „Denen sehe ich direkt an, was an dem Tag geht und was nicht“, so Straub.

Und dann sind da noch die Besonderheiten eines jeden Einzelnen. Berton muss wegen seiner Epilepsie darauf achten, Stress und äußere Reize gering zu halten. Folglich sind derzeit Handy und PC für ihn keine Alternative für Abwechslung im Privaten. „Und wegen dieser Faktoren kann ich auch nicht vorübergehend einen Job in den Werkstätten annehmen“, sagt der 35-Jährige. Die GVP-Werkstätten zählen nämlich ebenfalls zum Unternehmensverbund. „Das Betretungsverbot im März war für die GVP-Mitarbeiter so schlimm, dass wir Notgruppen einrichten mussten“, sagt Gerhard Wolf, einer der beiden Geschäftsführer der Gemeindepsychiatrie.

Nicht nur, aber vor allem für psychisch Beeinträchtigte gibt es Wolfs Meinung nach Grundpfeiler, um glücklicher durchs Leben zu gelangen: „Soziale Kontakte und eine sinnvolle Beschäftigung.“ Genau daran mangelt es Berton und vielen anderen gerade. Und dann sind da noch die, die einfach Angst vor Corona haben und sich selbst einigeln. Da sind Fachfrau Sander-Leppelt und ihre Kollegen besonders gefordert – per Telefonhörer.  

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