RECYCLING Wo das Toilettenfenster zum Spiegel mutiert

Bonn/Bad Godesberg · Klaus Thull arbeitet alte Baumaterialien zu originellen Wohnobjekten um. Viele alte Häuser in Bad Godesberg werden zu Fundgruben für neue Ideen.

Wenn ein Toilettenfenster aus der Kob~lenzer Straße als exklusives Designobjekt wiedergeboren wird, hat es das Klaus Thull zu verdanken. Ob Dachgaubenfenster aus dem Hansa-Haus oder eiserne Säulen mit Messingkopf aus der Villa Baudissin - irgend etwas ist in renovierungsbedürftigen Häusern und Abrissobjekten in Bad Godesberg immer zu finden. Mit alten Baumaterialien verwirklicht Thull neue Einrichtungsideen.

"Ich bin Autodidakt", erklärt Thull, der als Diplompädagoge und Sozialarbeiter keine Arbeit fand und kurzerhand sein Hobby zum Beruf machte. Schon als Student ließ er auf der Suche nach verwertbaren Einzelteilen keinen Sperrmüll-Termin aus. Bis er die ersten Fenster fand und von deren Möglichkeiten fasziniert war. Vor 22 Jahren begann Thull, Fenster- in Bilderrahmen und später in Spiegel zu verwandeln. "Die erste Werkstatt war in einem Pferdestall an der Moltkestraße", erzählt der Kunsthandwerker, "da haben wir den alten Lack noch mit Glasscherben abgezogen."

Über die symbolische Bedeutung des Fensters als Ein- und Ausblick hat Thull einen ganzen Aktenordner angelegt. Er selbst spielt gerne mit der Erwartungshaltung des Betrachers: "Der Rahmen bleibt, die Funktion des Sehens verändert sich." Aus vier Fensterrahmen setzt er eine Schmuckvitrine zusammen, aus zwei Flügeln einen flachen Schrank für eine Sammlung von 5000 Fingerhüten. Ein in den Rahmen eingesetztes Spiegelglas gaukelt bei geöffnetem Flügel Transparenz vor und verlockt dazu, die Hand durchzustrecken - was mit Fingerabdrücken auf der Scheibe endet.

Trompe l`oeil-Effekte mit alten Schätzen, die sonst keiner mehr haben will. "In gewisser Weise bin ich auch Denkmalschützer", meint Thull, "wenn ein Haus abgerissen wird, rette ich wenigstens die Fenster." Außerdem Türen, Treppen, Balkongitter, Lampen und alte Beschläge. Daher hat der Recycler auch keine Gewissensbisse, wenn er die Baumaterialien ungeniert zweckentfremdet.

"Wenn ich die Sachen ausbaue, ist die ursprüngliche Definition erst einmal weg", so Thull, "eine Tür kann Tür bleiben oder aber zum Wandpaneel umfunktioniert werden." Auch wenn viele Kunden zunächst mit diffusen Ideen auftauchen, eine Vorstellung haben sie alle gemeinsam: keine Katalogware, sondern möglichst individuelle Wohnobjekte. Zum Beispiel ein Bord für die Fotos der Lieben, zusammengezimmert aus drei eichenen Fußbodenleisten.

Nach mehr als zwei Jahrzehnten hat Thull sich als künstlerischer Resteverwerter einen gewissen Ruf erworben; außerdem helfen ihm gute Kontakte zur Landesentwicklungsgesellschaft (LEG) und Abriss-Diskussionen bei der Suche nach Nachschub. "Oft rufen die Leute selbst an", erklärt Thull. Wie der neue Eigentümer eines Hauses in der Max-Franz-Straße, der im Keller eine bleiverglaste Fensterscheibe fand. Das gute Stück wurde in einen Wintergarten integriert, während ein altes Wintergartenfenster aus der Bismarckallee in einem modernen Eigenheim als Trennwand zwischen Wohnzimmer und Küche fungiert. Über den Verkauf der Gartenmöbel des Schaumburger Hofs erfuhr er durch eine GA-Anzeige.

"Anfangs hielten mich die Leute für doof und haben mir die Sachen geschenkt", berichtet Thull, "als sie wussten, was ich daraus mache, wollten sie Geld damit verdienen." Inzwischen sind die Besitzer froh, wenn die Bauteile abgeholt werden: Die Entsorgungskosten sind einfach zu hoch.

Auch wer die Werkstatt in der Bonner Straße noch nicht besucht hat, könnte ihre Erzeugnisse schon aus nächster Nähe gesehen haben: Zu vielen Produktionen der Kammerspiele hat Thull die Requisiten für ein stilechtes Bühnenbild beigesteuert. Die Nachfrage nach den aufgearbeiteten Antiquitäten beschränkt sich jedoch nicht auf Bad Godesberg: Den gastronomischen Stützpunkt der Bonner in Berlin zum Beispiel, das STÄV, hat Thull mit Fenstern aus dem Wasserwerk, Tischplatten aus der Fahnenfabrik und Lampen vom Petersberg ausgestattet. Ehrensache, dass er in seiner eigenen Wohnung kein einziges gekauftes Möbelstück herumstehen hat.

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