Klaus Thull "Wohlstand definiert sich nicht über Neuware"

GESCHÄFTSIDEEN Serie (VII): Klaus Thull macht Möbel aus alten Baumaterialien. Spiegel aus Fensterrahmen

Wenn man Klaus Thull in seiner Werkstatt besucht, möchte man nach spätestens zwei Stunden selbst eine Tischlerlehre beginnen, möchte sich durch Godesberger Sperrmüllhaufen wühlen, in Containern nach Baumaterial suchen und bei jedem Abriss-Haus fragen, ob nicht ein Brett übrig ist. Vielleicht wäre man dann auch so zufrieden, wie Klaus Thull es ist, wenn er vor seinen selbst gebauten Möbeln steht. "Diese Kommode ist doch wirklich sensationell", sagt er und klingt fast ein wenig verwundert. "Wenn die verkauft wird, werde ich wahrscheinlich etwas wehmütig."

Vor 28 Jahren entdeckte Klaus Thull seine Liebe zu alten Materialien. Damals studierte er noch Sozialpädagogik. Abends fuhr er oft mit dem Auto durch Bonn und durchwühlte Sperrmüllhaufen. Am Anfang interessierten ihn nur alte Fensterrahmen, aus denen er Spiegel machte. Erst nur für sich selbst, dann verschenkte er sie an Freunde und Verwandte, und schließlich verkaufte er sie auch auf dem Flohmarkt. "Plötzlich merkte ich, dass man mit der ganzen Sache Geld verdienen kann", erzählt Thull.

"Die Spiegel wurden mir regelrecht aus den Händen gerissen." Aus der Suche nach Fensterrahmen wurde eine Suche nach alten Türen, Fußleisten, Treppenpfosten und überhaupt nach allem, was nicht niet- und nagelfest ist. "Ich hatte das Gefühl, dass ich der Auserwählte war, der die Sachen vor dem Bagger retten musste", sagt der Mann mit dem dichten grau-schwarzen Vollbart und zwinkert mit den Augen. "Göttlicher Auftrag sozusagen."

Sein Studium hat er trotzdem ordentlich mit dem Examen abgeschlossen, aber als Sozialpädagoge gearbeitet hat er nie. In seinem Laden "Holzwurm und Blattlaus" in der Bonner Straße verkauft der heute 55-Jährige Vitrinen, Schränke, Garderoben, Tische, Bilderrahmen und immer noch Spiegel aus alten Fensterrahmen. Alle Möbel sind Einzelstücke: Auch wenn Thull sie nicht alle selbst gezimmert hat, so hat er doch an jedem etwas verändert.

Manchmal baut er auch ganze Einrichtungen, wie zum Beispiel für das Restaurant "Ständige Vertretung" in Berlin, dessen Inhaber Friedel Drautzburg ebenfalls aus Bonn stammt. Auf dem Hof vor Thulls Werkstatt türmen sich Gitter, alte Fenster und Pfosten. Und was, bitte schön, soll aus all dem einmal werden? "Ach, mir wird schon was einfallen", sagt er. Aus einem Brett könne er zehn verschiedene Dinge machen. Mindestens, fügt er hinzu und lacht.

Mit der Zeit habe er ein Gefühl dafür entwickelt, was er aus welchem Teil bauen könne. "Die Treppenpfosten da drüben" - er zeigt auf drei graue, unscheinbar wirkende Säulen, die in einer Ecke des Hofes liegen - "die werde ich abbeizen und lackieren, mit einer Eisenstange verbinden und dann zu Tischbeinen umfunktionieren. Das wird einmal ein Traum von einem Tisch." Es ist das Arbeiten mit den verschiedenen Materialien, das ihn antreibt - die betriebswirtschaftliche Seite seines Geschäfts ist für ihn eher Nebensache. So weiß er auch nicht, wie viele Kunden er zur Zeit hat - mal komme den ganzen Tag keiner, am nächsten Tag ständen dann sechs Autos auf dem Hof.

Und wie viel Umsatz er macht, hat er auch nicht genau im Kopf. Immerhin, sagt er, könne er seine Rechnungen bezahlen und auch seinen einzigen Angestellten, einen Schreiner. "Das große Geld kann man mit dem Laden hier nicht verdienen." Aber das sei ja auch nicht das Wichtigste im Leben. Überhaupt, immer diese Fragen nach dem Geld. Er schüttelt den Kopf. Zufriedenheit, das zählt. Punkt. Aus. Sagt's und spricht dann über die "die verkorkste Wegwerfgesellschaft", "den fehlenden Respekt vor alten Dingen" und darüber, dass "Wohlstand sich nicht über Neuware definiert".

Ja, er sei ein Idealist, sagt Thull. Aber manchmal weiche auch er von seinen Idealen ab. Als seine 16-jährige Tochter kürzlich lieber einen Tisch von Ikea haben wollte als einen aus seinem Lager, bekam sie ihn. "Über Ikea steh' ich drüber", sagt er. "Mein nächster Werbespruch wird sein: Wohnst du noch in Ikea oder lebst du schon?" Klaus Thull lacht.

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