Godesberger Gegensätze Zehn Chancen für die Zukunft

Bad Godesberg · Wie sieht Bad Godesberg in zehn Jahren aus? Bei den Recherchen zur Serie "Godesberger Gegensätze" hat sich die Lokalredaktion immer wieder gefragt, wie es mit den Themen, die aktuell polarisieren, wohl weitergeht. Manches, was heute ein Problem ist, bietet auch Chancen.

 Blick über das Godesberger Altstadtcenter, das gerade zukunftstauglich umgebaut wird, zum Drachenfels. FOTO: RONALD FRIESE

Blick über das Godesberger Altstadtcenter, das gerade zukunftstauglich umgebaut wird, zum Drachenfels. FOTO: RONALD FRIESE

Foto: Ronald Friese

Die These vom sterbenden Stadtbezirk hat sich während der Recherchen nicht bestätigt, aber es gibt einige Bereiche mit dringendem Handlungsbedarf, vor allem für Stadtverwaltung und Politik. "In unserer Demokratie sollten Bürger, die ihr Unbehagen offen ansprechen, von Politikern ernst genommen werden. Nur dann können aus Risiken Chancen werden", schrieb eine GA-Leserin.

Innenstadt

Der demografische Wandel ist in Bad Godesberg längst angekommen. Man sieht viele Menschen mit Rollator oder Rollstuhl, die sich durch eine in die Jahre gekommene Fußgängerzone voller Stolperfallen mühen. Gleichzeitig bauen Investoren im Altstadtcenter und am Michaelshof neue Wohnungen, die für mehr Leben in der Innenstadt sorgen werden.

Die Chance: Die Godesberger Innenstadt wird Modellprojekt für Stadtgestaltung der Zukunft: barrierefrei, gut beleuchtet, mit vielen Sitz- und Spielmöglichkeiten, Schattenplätzen für heiße Sommer und Parkplätzen für Elektro-Scooter, mit denen viele Senioren unterwegs sind. Wegen der guten Infrastruktur ziehen auch junge Familien nach Bad Godesberg.

Der Haken: Weil die Stadt Bonn kein Geld hat, wäre eine groß angelegte Innenstadtsanierung nur mit Zuschüssen von Bund oder Land möglich.

Zusammenleben

Bad Godesberg war und ist ein Multikulti-Stadtbezirk. Allerdings hat sich das Erscheinungsbild geändert. An die Stelle der Diplomaten sind vielfach Medizintouristen getreten. Außerdem findet man vermehrt voll verschleierte Frauen. Ein Umstand, der auch auf Unbehagen stößt. Christen und Muslime arbeiten am Miteinander, stoßen aber auf kulturelle Unterschiede.

Die Chance: Die Arbeit des Dialogkreises zeigt Wirkung. Muslimische Gemeinden öffnen sich (noch) stärker. So läuft die Zusammenarbeit zwischen Christen und Muslimen auch auf institutionalisierter Ebene immer besser. Dabei verlieren die Beteiligten auch die Probleme nicht aus den Augen und widmen sich gemeinsam dem Kampf gegen radikale Islamisten - auch in den eigenen Reihen.

Der Haken: Diejenigen, die nicht an Kirchen oder Moscheen angeschlossen sind, haben vielfach keine Berührungspunkte. Deutsche fürchten die "Überfremdung", Migranten fühlen sich ausgeschlossen.

Verkehr

Hier können sich die Godesberger eigentlich nicht beschweren: Große Projekte wie der Straßentunnel, die Stadtbahn-Verlängerung bis zur Stadthalle oder die Verbindung von der Südbrücke zur bahnparallelen Straße sind bereits umgesetzt. Forscher sagen zugleich, dass gerade für jüngere Menschen das eigene Auto nicht mehr so wichtig ist.

Die Chance: Leise Elektro-Fahrzeuge und ein optimal gesteuerter Bus- und Bahnverkehr sorgen dafür, dass es auch an den Hauptverkehrsadern weniger Belastung für die Anwohner gibt. Es gibt insgesamt weniger Fahrzeuge, die aber durch Car-Sharing ständig im Einsatz sind.

Der Haken: Hier ist vieles tatsächlich Zukunftsmusik. Außerdem lässt sich das Thema Verkehr nur stadtweit angehen.

Hauptstadt-Geschichte

Bad Godesberg war in 50 Jahren Bundesrepublik die Bühne politischen Lebens, schrieb ein GA-Leser. Dieser Teil der Identität dürfe nicht vergessen werden.

Die Chance: Neben dem Weg der Demokratie ziehen auch Botschaftstouren, Stadtbezirks-Rundfahrten und Gastrotouren dauerhaft Touristen nach Godesberg, unter denen immer mehr Fans der gut gepflegten Nachkriegsmoderne der 50er und 60er Jahre sind.

Der Haken: Einige Schauplätze des ehemaligen Diplomaten-Stadtbezirks sind abgerissen, auch bei etlichen Botschafts-Leerständen ist keine Lösung in Sicht.

Kultur

Was wird aus den Kammerspielen? Das ist hier die große Zukunftsfrage. Der neue Oberbürgermeister Ashok Sridharan ist dafür, "die Kammerspiele in Bad Godesberg zu erhalten, wenn das wirtschaftlich darstellbar ist".

Die Chance: Die Kammerspiele werden zum Treffpunkt in der Godesberger Innenstadt, in dem neben dem regulären Theaterprogramm auch Schulprojekte stattfinden. Ein Café und Gesundheitsvorträge im Foyer holen zusätzlich Leben ins Haus. Die Freunde der Kammerspiele sind weiter aktiv und verleihen auch 2025 ihren Theaterpreis Thespis.

Der Haken: Wie in vielen öffentlichen Gebäuden in Bonn herrscht auch in den Kammerspielen Sanierungsstau. Ihr Erhalt braucht Geld und eine langfristige politische Entscheidung.

Medizintourismus

Dass viele ausländische Gäste in Bad Godesberg wohnen, die in Bonn behandelt werden, stößt auf Unmut in der Bevölkerung.

Die Chance: Der wichtige Wirtschaftsfaktor bleibt dauerhaft gesichert. Kliniken fühlen sich nicht nur für die medizinische Versorgung zuständig, sondern vermitteln gemeinsam mit den Botschaften auch Unterkünfte in neuen Boarding Houses und Freizeitangebote für die Begleitpersonen von Medizintouristen.

Der Haken: Mit aktuellen Regelungen wie der Zweckentfremdungssatzung ist unseriösen Vermietern und Vermittlern nicht beizukommen.

Bildung

Es gibt überproportional viele Privatgymnasien. Auf der anderen Seite stehen die Hauptschüler, die als schwierig gelten. Die Schüler selbst sehen indes keinen großen Unterschied, es gebe lediglich zu wenig Berührungspunkte.

Die Chance: Durch Aktionen und Programme wachsen die Schulen enger zusammen, der eine kann sich am anderen orientieren. So gelingt es, dass die Privatschüler mehr Praxiserfahrung sammeln. Und den Hauptschülern erscheint der Weg zum Studium nicht mehr aussichtslos, wenn sie genug Engagement zeigen. Bestes Beispiel: Lehrerin Leyla Dilbaz, die selbst Hauptschülerin war.

Der Haken: Vielfach klaffen die Lebenseinstellungen und -wirklichkeit zu weit auseinander. Gymnasiasten gelten bei Hauptschülern als arrogant, umgekehrt erscheinen diese oft als "asozial".

Wohnen

In Bad Godesberg werden so viele Wohnungen gebaut, dass der Stadtbezirk weiter wächst. Gleichzeitig wächst der Widerstand gegen Neubauprojekte und Nachverdichtung.

Die Chance: Die Stadt Bonn überarbeitet alte Bebauungspläne und ermöglicht, höher zu bauen und dadurch mehr Wohnraum für alle Einkommensklassen zu schaffen. Gleichzeitig wird darauf geachtet, dass genug Freiflächen und Frischluftschneisen erhalten bleiben.

Der Haken: In Bad Godesberg gibt es kaum noch Bauland und die Investoren bauen auf den teuren Grundstücken nur das, was sich am besten verkaufen lässt, vorzugsweise hochpreisig.

Sicherheit

Subjektives und objektives Sicherheitsgefühl klaffen weit auseinander. Die Zahlen der Kriminalitätsstatistik bescheinigen Bad Godesberg eine positive Tendenz, trotzdem wenden sich immer mehr Privat- und Geschäftsleute einem privaten Sicherheitsdienst zu. Viele Bad Godesberger fühlen sich in der Innenstadt unbehaglich, andere empfinden überhaupt nicht so.

Die Chance: Das Durchschnittsalter der Polizisten in der Wache Bad Godesberg wird durch Nachbesetzungen gesenkt. Dadurch sinkt der Krankenstand, die Polizeipräsenz wird deutlich verstärkt. So kommt es, dass sich die Bad Godesberger wieder überall sicher fühlen.

Der Haken: Auf städtebauliche Angsträume hat keine Statistik Einfluss. Hier können nur private Investitionen helfen, denn der Stadtsäckel ist leer. Außerdem wird sich das Publikum abends in der Innenstadt nicht ändern.

Kurfürstliche Zeile

Die Stadt hat bisher vergeblich versucht, das Ensemble an der Kurfürstenallee zu verkaufen.

Die Chance: Aus den ehemaligen Logierhäusern für Kurgäste werden wieder Unterkünfte für Touristen. Ein Investor baut die Immobilien zum dringend benötigten Boarding House für Medizintouristen und zu einem Gesundheitshotel um, in das auch die Sauna und das Kurfürstenbad integriert und öffentlich zugänglich gemacht werden.

Der Haken: Die Godesberger müssten sich von ihrem geliebten Bezirksrathaus verabschieden.

Die Zukunft der Städte ist bundesweit ein Thema. "Wie kann die Morgenstadt als Vision einer nachhaltigen, lebenswerten und zukunftsfähigen Stadt aussehen?", fragt zum Bespiel die Fraunhofer-Gesellschaft. Wissenschaftler erforschen alles, was dafür notwendig ist, zum Beispiel eine autarke Energieversorgung, Leben und Arbeiten mit kurzen Wegen sowie Gebäude, die für steigende Klimaschwankungen gerüstet sind. Auch das Thema des Wissenschaftsjahres 2015 des Bundesministeriums für Bildung und Forschung heißt Zukunftsstadt.

Professor Armin Grunwald, Leiter des Büros für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag, warnt allerdings: "Vollmundige Prognosen und Hochglanzbroschüren, wie die Stadt der Zukunft aussehen wird, gibt es zuhauf. Ständig besteht aber die Gefahr, dass wir das Wissen über die Zukunft überschätzen, obwohl es zu einem großen Teil doch bloß aus Verlängerungen gegenwärtiger Trends besteht."

Es müsse um Gestaltung gehen, nicht um Prophezeiung. "Diese bedarf klarer Ziele: Wie soll die Stadt der Zukunft aussehen, zum Beispiel wie sollen Mobilitätsbedürfnisse erfüllt werden oder welche sozialen Infrastrukturen sollen aufgebaut werden?", sagt Grunwald. Dabei dürfe man eins nicht vergessen: "Die Städte sind für die Menschen da, nicht die Menschen für die Städte."

Alle Teile der GA-Serie "Godesberger Gegensätze" gibt es in unserem Special zum Nachlesen.

Mehr Informationen zu den Forschungsprojekten zur Zukunft der Städte unter www.morgenstadt.de und www.wissenschaftsjahr-zukunftsstadt.de.

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