Lesung mit Navid Kermani "Zwischen Koran und Kafka"

Der Schriftsteller Navid Kermani diskutiert am Mittwoch in der Parkbuchhandlung über sein Buch. Mit ihm sprach Ebba Hagenberg-Miliu.

 Kulturbotschafter: Schriftsteller Navid Kermani.

Kulturbotschafter: Schriftsteller Navid Kermani.

Foto: dpa

Der Untertitel Ihres Buches heißt "West-östliche Erkundungen". Sie haben eine Leidenschaft für Goethes "West-östlichen Diwan"?
Navid Kermani: Vor allem für den späten Goethe, den Goethe des Diwans, der Marienbader Elegie, des Wilhelm Meisters.

Und wie kommen Sie vom Prager Juden Franz Kafka zum Iraner Sadegh Hedayat?
Kermani: Weil Kafka der Lieblingsautor von Hedayat war. Hedayat, der bedeutendste iranische Prosaautor der Moderne, hat Kafka in Teheran bereits übersetzt und über ihn geschrieben, als er in Deutschland noch weitgehend unbekannt war.

Orient und Okzident sind geistesgeschichtlich nicht zu trennen?
Kermani: Dieser Satz stammt von Goethe, aber er hat natürlich recht: Europa teilt mit dem Nahen Osten seine zwei wesentlichen geistigen Wurzeln: die griechische Antike und das biblische Israel. Es hat sich intellektuell und historisch als eigenständige Identität überhaupt erst herausbilden können, indem es sich vom Orient abgrenzte: nicht bloß vom Islam, sondern vom gesamten arabisch geprägten Kulturraum, zu dem die muslimischen Traditionen gehören, aber ebenso das Judentum und das östliche Christentum.

Ein Prozess der Abgrenzung also...
Kermani: Ja, aber zugleich der Aneignung. Europa hat die geistigen Strömungen des Nahen Ostens in sich aufgenommen, sich zu Eigen gemacht, um sie zu verwandeln. Dieser doppelte Prozess hat entscheidend zur Entstehung einer säkularen Moderne beigetragen, die nicht das Christentum, wohl aber die theologischen Vorzeichen des Mittelalters abschaffte. Ernst Bloch sprach eben deshalb von der arabischen Kultur als dem "Quellgebiet der Aufklärung".

Was heißt das für uns heute?
Kermani: Wer heute über den Islam in Europa spricht oder sich als Europäer mit der arabischen Welt beschäftigt, sollte die verwickelte, sicher konfliktreiche, aber auch faszinierende und in weiten Teilen ja auch kulturell produktive Geschichte kennen, die Europa mit dem Orient verbindet. Das ist in der öffentlichen Debatte nicht immer der Fall, so viele glänzende Bücher es inzwischen zu diesem Thema gibt.

Zu Lessings "Nathan dem Weisen": Wie halten wir es heute in Deutschland Ihrer Ansicht nach mit der Toleranz?
Kermani: Immer besser, bei allen Rückschlägen wie dem Terror der NSU oder medialen Ausschlägen wie Sarrazin. Insgesamt sehe ich die Entwicklung in Deutschland sehr positiv, zumal im Vergleich mit anderen europäischen Ländern oder gar dem Nahen Osten.

Was die arabischen Völker am dringendsten brauchen, ist ein handfester Beitrag zum Abbau der Massenarmut?
Kermani: Hannah Arendt schrieb, dass Revolutionen nicht in Ländern gelingen, die unter dem Fluch der Armut stehen. In diesem Zusammenhang plädierte ich unmittelbar nach den arabischen Revolutionen dafür, die Länder des südlichen Mittelmeers vor allem auch wirtschaftlich zu stabilisieren, damit eine demokratische Entwicklung überhaupt eine Chance hat. Wie man weiß, ist das nicht passiert, und es haben sich statt der EU andere Länder massiv engagiert und damit die Entwicklung nachhaltig und aus unserer Sicht äußerst negativ beeinflusst. Ich meine natürlich speziell Saudi-Arabien und andere Golf-Staaten. Wie Amerika den Deutschen nach dem Krieg nicht aus Mitleid eine Perspektive geboten hat, so wäre es im wohlverstandenen Eigeninteresse der europäischen Staaten gewesen, in die Freiheit zu investieren, statt wie früher in Diktaturen.

Info

Karten für die Veranstaltung am Mittwoch, 29. Oktober, 19.30 Uhr, in der Parkbuchhandlung, Koblenzer Straße 57, gibt es unter Telefon 0228/352191 oder E-Mail info@parkbuchhandlung.de. Navid Kermanis Buch "Zwischen Koran und Kafka" kostet 24,95 Euro.

Zur Person

Navid Kermani wurde als 1967 als Sohn iranischer Eltern in Siegen geboren. Er studierte Orientalistik, Philosophie und Theaterwissenschaften in Köln, Kairo und Bonn. Es folgten die Promotion und Habilitation. Kermani arbeitete unter anderem als Dramaturg, Regisseur, Leiter eines Sprach- und Kulturzentrums, Buchautor und Professor für deutsche Literatur. Für sein akademisches und literarisches Werk wurde Kermani vielfach ausgezeichnet. Navid Kermani ist verheiratet, hat zwei Kinder, besitzt einen deutschen und einen iranischen Pass und lebt als freier Schriftsteller in Köln.

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