Interview mit Geert Müller-Gerbes "Bei Talkshows schalte ich ab"

HOLTORF · Er war Pressereferent des Bundespräsidenten Gustav Heinemann und Chefkorrespondent bei RTL. Einem Millionenpublikum wurde Geert Müller-Gerbes durch die Fernsehsendung "Wie bitte?!" bekannt. Über die Stationen seines Lebens und die Kunst, sich rechtzeitig zu verabschieden, sprach der 75-jährige Niederholtorfer mit Anke Vehmeier.

 "Ich habe Kraft aus meiner Familie geschöpft", sagt Geert Müller-Gerbes.

"Ich habe Kraft aus meiner Familie geschöpft", sagt Geert Müller-Gerbes.

Foto: Max Malsch

Journalist und Moderator - ein hektisches Leben. Sind Sie heute tatsächlich im Ruhestand?
Geert Müller-Gerbes: Ich habe nicht von dem einen Tag auf den anderen aufgehört, sondern mich mehr und mehr ins Private zurückgezogen. Denn durch das Fernsehen habe ich einen hohen Bekanntheitsgrad erreicht. Das verführt. Deshalb haben auch viele ältere Kollegen den Absprung nicht geschafft, wie etwa Thomas Gottschalk oder Frank Elstner. Daher ist es wichtig, sich frühzeitig auf den Abschied vorzubereiten. Ich habe dafür zwei Jahre gebraucht. Immerhin hatte ich ein Sechs-Millionen-Publikum durch meine Talkshows. Wer aber glaubt, dadurch sei er bedeutend, liegt falsch. Nach zwei Jahren kennt Sie keiner mehr. Ich habe Kraft aus meiner Familie geschöpft - ich bin 50 Jahre verheiratet und habe vier Söhne, das ist eine verlässliche Basis. Es heißt immer, man soll auf dem Höhepunkt des Erfolgs aufhören.

Und was machen Sie heute?
Müller-Gerbes: Ich habe unter anderem Kinderbücher geschrieben, habe mich für den Evangelischen Kirchenpavillon in Bonn engagiert, ich bin Vorsitzender des Fördervereins "Nachbarschaft - Förderverein für kirchliche Cityarbeit" sowie, gemeinsam mit Dieter Jepsen-Föge, Chefredakteur der "beuelerHOSPIZnachrichten", die zweimal im Jahr erscheinen. Daneben ergeben sich immer noch zusätzliche Dinge, so bin ich zum Beispiel auch Schirmherr der Bonner Tafel. Ich stehe auf dem Standpunkt, dass jeder, der dank vieler Menschen Erfolg hatte, in seinem Leben auch etwas zurückgeben sollte.

Sie waren Journalist und politischer Berater - was war spannender?
Müller-Gerbes: Beides war unglaublich spannend. Ich wollte schon immer Journalist werden. Als 16-Jähriger hatte ich schon eine Schülerzeitung in Aalen, "Die Penne" hieß sie. Und ich war Landesvorsitzender der Jungen Presse Baden-Württemberg. Aber mein Vater wollte, dass ich Wirtschaftsjurist werde, das interessierte mich aber gar nicht. So schlossen wir einen Kompromiss: Mein Vater sollte mir ein Praktikum bei einer Bank besorgen, gelang ihm das nicht, sollte ich mir ein Volontariat suchen. Ich landete schließlich bei der Heidenheimer Zeitung. Von dort ging ich zum Studium nach Berlin. Dort wollte ich unbedingt zum "Tagesspiegel". Ich habe den Leiter der Rechtsabteilung lange genervt. Ich sagte ihm "Wenn Sie mich nicht nehmen, versündigen Sie sich am deutschen Journalismus" - das war sehr frech, aber schließlich gab er auf und ich wurde Hospitant und später Redakteur. Über eine Station als Pressesprecher eines Elektronikkonzerns kam ich schließlich nach Bonn, wo das Unternehmen ein Lobbybüro eröffnete.

Und wie kamen Sie dann in die Politik?
Müller-Gerbes: Auch da war ich ganz frech und schrieb dem damaligen Justizminister (und späteren Bundespräsidenten) Gustav Heinemann im Frühjahr 1969 "Ich möchte gerne Ihr Pressesprecher werden". So kam es, dass ich dann tatsächlich im Vorfeld seiner Amtseinführung in die Vorbereitungen zur Antrittsrede des Bundespräsidenten Gustav Heinemann mit einbezogen wurde. Das war am 1. Juli 1969, ich war 31 Jahre alt. Danach begann meine lehrreichste, spannendste und anstrengendste Zeit. Heinemann war ungewöhnlich schwierig, und ich habe alles lernen müssen. Schnell begriff ich, Erfahrung ist in dieser Position ganz wichtig. Zum Schluss hatte ich ein persönliches Verhältnis zu ihm. Ich habe ihn als väterlichen Förderer und Lehrmeister sehr geschätzt.

Was schauen Sie im Fernsehen und wann schalten Sie ab?
Müller-Gerbes: Ich sehe mir die Tagesschau an - oft aber nur die erste Meldung. Außerdem schaue ich Naturfilme. Abgeschaltet wird bei Talkshows. In der ARD beobachte ich eine "Logorrhoe" - die können die Wörter nicht halten. Fünf Talkshows, das ist Schwachsinn.

Wie kamen Sie nach Niederholtorf?
Müller-Gerbes: Als ich Pressereferent von Heinemann wurde, beschlossen meine Frau und ich, uns in Bonn ein Haus zu bauen. Wir wollten ein Grundstück zwischen Bonn und Troisdorf kaufen. Um den besten Überblick zu haben, mieteten wir ein Flugzeug mit Pilot in Hangelar. Da immer nur einer mitfliegen konnte, sind wir also jeder mit einer Karte auf dem Schoß in die Luft gestiegen. Wir entdeckten, dass dieses Grundstück in Holtorf noch frei war und haben es schließlich gekauft. Das Wohnen war in den vergangenen 40 Jahren so angenehm, und wir sind den Bürgern seit jeher dankbar verbunden. Ich war im Gesangverein und im Bürgerverein tätig und moderiere immer noch gerne Veranstaltungen im Ort. Die Menschen hier sind zurückhaltend und liebenswürdig. Als ein Freund von mir eines Tages im Krankenhaus lag, hatte er einen Zimmernachbar, den er fragte, wo er denn herkomme: "Och, ich komme aus Niederholtorf, dat kennen Sie bestimmt nicht. Bei uns wohnen nur zwei Prominente, de Ejon Bahr un de Müller-Jerbes".

Zur Person
Geert Müller-Gerbes wurde am 18. September 1937 in Jena geboren. Nach Volontariat und Studium arbeitete er in Berlin für den Tagesspiegel, den RIAS und den SFB. 1969 wurde er Pressereferent des Bundespräsidenten Gustav Heinemann. 1976 kam Müller-Gerbes als Korrespondent für Radio Luxemburg nach Bonn. Ab 1984 war er zusätzlich Chefkorrespondent für den RTL-Hörfunk und für RTL plus. Bekannt wurde er durch die Talkrunde Bonnfetti, die aus dem Bonner Contra-Kreis-Theater gesendet wurde. Es folgten die Sendung "Die Woche - Menschen im Gespräch" und ab 1992 die Verbraucher-Sendung "Wie bitte?!" Er moderierte die WDR-Talkshow. 2000 zog er sich ins Privatleben zurück. Seit 2003 veröffentlicht er Kinderbücher.

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