Jugendkriminalität Amtsgerichtsdirektorin sieht die Politik in der Pflicht

BONN · Immer wieder verbreiten Jugendbanden Angst und Schrecken. Aktuelles Beispiel dafür sind junge Straftäter, die in Beuel ihr Unwesen treiben. Nicht nur die Eltern der Opfer werfen der Justiz vor, dass die Verfahren zu lange dauerten.

In der Regel vergingen mindestens sechs Monate zwischen der Tat eines Jugendlichen bis zum Prozess - in der Zwischenzeit begingen die Jugendlichen oft weitere Straftaten .

Diese Meinung teilt die Bonner Amtsgerichtsdirektorin Lydia Niewerth nicht. Die 64-Jährige sieht die Justiz zu Unrecht am Pranger und stellte sich am Montag schützend vor ihre Jugendrichter, deren Auslastung bei 120 Prozent liege. Jeder Jugendrichter bekomme im Jahr 330 Verfahren auf seinen Schreibtisch.

Im Schnitt würden die Richter 15 Stunden pro Woche im Verhandlungssaal sitzen. Ihr Fazit: "Mit dem Personal können wir nicht schneller. Wir würden gerne, aber wir können nicht."

In den Augen der erfahrenen Juristin handelt es sich bei den Jugendbanden um ein gesamtgesellschaftliches Problem. Sei es früher bei Jugendgerichtsverhandlungen oft um Ladendiebstähle gegangen sei, habe sich vor allem die Qualität der eingesetzten Gewalt erhöht. Heute gehe es vor Gericht vornehmlich um Jugendliche, "die sich bandenmäßig zusammenrotten", um Gleichaltrige "abzuziehen". Das Ziel seien meist hochwertige Elektronikartikel wie Handys und Tablets.

Niewerth nimmt vor allem die Politik in die Pflicht: "Da müsste man schon früher an das Thema ran." Die Justiz stehe nur am Ende einer langen Kette. "Die Bevölkerung erwartet, dass die Justiz das Problem abstellt. So einfach ist das aber nicht", sagte die Amtsgerichtsdirektorin. Der Illusion "Heute Tat und morgen Knast" dürfe man sich nicht hingeben.

Auch wenn sie versteht, dass kein Opfer einem Täter auf der Straße wieder begegnen möchte, könne man nicht jeden Verdächtigen gleich verhaften: "Das geht nicht, dafür sind wir ein Rechtsstaat."

Dass es ein Problem bei der Vernetzung der beteiligten Institutionen gebe, sieht die Richterin nicht: "Das kann ich so nicht feststellen." Gerade zu Jugendhilfeeinrichtungen bestehe ein ständiger Kontakt.

Niewerth wünscht sich gerade bei Kindern mit Migrationshintergrund eine frühe Integration im Kindergartenalter, besonders wenn sie aus Kriegsgebieten stammen. Ein Handicap bei der täglichen Arbeit sei es, dass es zu wenige Haftvermeidungseinrichtungen gebe. Diese geben in den Augen der Direktorin die wichtige Möglichkeit, einen Jugendlichen aus seinem Umfeld herauszuholen, ohne dass er sofort in Untersuchungshaft gesteckt wird.

Auch im Strafvollzug gebe es zu wenige Plätze. Nach einer Verurteilung könne es bis zu drei Monate dauern, bis die Haft angetreten werden kann. Die aktuelle Debatte um die Gehälter von Richtern ist in ihren Augen ein weiteres Problem: "Das ist kein Anreiz, die besten Juristen in den Staatsdienst zu bekommen."

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