Buch über Nazi-Opfer Den Holocaust-Opfern ihre Würde wiedergeben
Beuel · Die Beuelerin und pensionierte Lehrerin Karla Marx lässt in ihrem neu erschienenen Buch verstummte Lieder von KZ-Häftlingen wiederaufleben.
Es gibt da dieses erschütternde Bild des Auschwitz-Überlebenden Wladyslaw Siwek, das die Beueler Autorin Karla Marx an den Beginn ihres gerade erschienenen Buchs gesetzt hat. Da müssen ausgemergelte KZ-Häftlinge unter den Augen bewaffneter SS-Schergen in Reih` und Glied zur Zwangsarbeit ausrücken. Und hinter dem Tor mit dem zynischen Schriftzug „Arbeit macht frei“ sind die Leidensgenossen zu sehen, wie sie den Marsch auch noch mit Musik begleiten müssen. „Ich empfinde eine tiefe Verpflichtung, mit dazu beizutragen, der Opfer des Nationalsozialismus zu gedenken“, sagt Marx. Sie wolle diesen Menschen wenigstens posthum etwas zurückgeben, das ihnen in den Vernichtungslagern auf brutalste Weise geraubt wurde: „ihre Würde, ihre Namen, ihr Herz und ihre Menschlichkeit.“
Karla Marx, Jahrgang 1953, ist Musikpädagogin. Sie hat in der Beueler Musikschule Mehlemsches Haus, in Poppelsdorf, Küdighoven und Godesberg musikalische Früh- und Hörerziehung gelehrt sowie Chöre geleitet. In der Marktschule in Pützchen war sie Lehrerin für Musik, Religion und Deutsch. Zuvor hatte sie an der Universität über das Thema Lieder aus den Konzentrationslagern gearbeitet, was sie Jahrzehnte später 2021 auf Einladung des Dokumentationsvereins KZ Hersburg noch einmal in einem viel beachteten Vortrag in Wort und Ton präsentierte. Gesammelt hatte Marx hier natürlich nicht die von der SS damals verordneten Tschingdarassabumm-Nazilieder, sondern überlieferte, von den Häftlingen selbst komponierte und getextete Schmerzenslieder. Und daraus hat die Beuelerin jetzt ihr Buch „Verstummte Lieder wieder zu hören“ gemacht.
Da holt sie das ergreifende Sehnsuchtslied „Ich wandre durch Theresienstadt, das Herz so schwer wie Blei“ der 1944 im KZ ermordeten tschechisch-jüdischen Schriftstellerin Ilse Weber wieder aus der Versenkung. Deren Mann Willi hatte es kurz vor ihrem Gang in die Gaskammer noch im Boden eines Schuppens versteckt. Marx belebt das „Buchenwaldlied“ des bekannten Franz-Lehar-Librettisten und KZ-Häftlings Fritz Löhner-Beda wieder, den die SS schließlich 1942 im Todeslager Auschwitz erschlug. Schreckliche Liedzeilen aus der Zwangsarbeit hoch über der Goethe-Stadt Weimar wie „Und der Wald ist schwarz und der Himmel rot“ sind sein Vermächtnis. Auch Zeilen des noch im April 1945 erhängten Stanislaw Targowski aus seinem Lied „O du mein Buchenwald“ tackern sich im Gedächtnis fest: „Meinen Vater zerfleischten im KZ die Hunde, damit sie stärker und größer Hitlers Sieg feiern können“.
Das Buch von Marx lebt vom Wechsel von Text und Bildern. Die Erstauflage verzeichnet Links, unter denen man Liedeinspielungen im Netz hören kann. In der in vier Wochen erscheinenden Neuauflage werden auch Noten im Buch sein. Die Lieder hätten bei allem Schmerz in ihrer Sehnsucht nach Heimat und Familie letztlich wohl auch wie Hoffnungsfunken innerhalb des düsteren KZ-Alltags geleuchtet, vermutet Marx. „Mich hat das Buch fast zwei Jahre mit Mühen und Tränen gekostet, weil die Aufarbeitung mich oft genug selbst aus der Bahn geworfen hat“, gibt die Autorin zu. Schon auf ihren Vortrag hätten Zuhörer betroffen reagiert. „Manche hielten sich beide Hände vors Gesicht und schluchzten. Ansonsten war es mucksmäuschenstill.“
Für den 9. November ist in der Beueler Versöhnungskirche eine Musiklesung geplant.Im Handel erhältlich: Karla Marx, Verstummte Lieder, Kid Verlag 2023, 32 Euro