Mutter-Barat-Siedlung Der Traum vom eigenen Häuschen ist 60 Jahre alt

Pützchen/Bechlinghoven · In der Mutter-Barat-Siedlung in Pützchen/Bechlinghoven konnte man noch für 80.000 DM ein 650 Quadratmeter großes Grundstück erwerben und ein Häuschen darauf errichten. Das Ziel war damals, sich möglichst eigenständig versorgen zu können.

 Die Baugruben wurden nicht mit Bagger ausgehoben, sondern mit Muskelkraft.

Die Baugruben wurden nicht mit Bagger ausgehoben, sondern mit Muskelkraft.

Foto: Wieler

43 Familien aus Pützchen träumten vor über 60 Jahren nicht nur vom Eigenheim, sie ließen ihren Traum auch wahr werden. Auf einem etwa drei Hektar großen ehemaligen Wirtschaftsgelände des Herz-Jesu-Klosters in Pützchen errichteten sie zwischen Karmeliterstraße, Alte Schulstraße, Siegburger Straße und der Mutter-Barat-Straße in Bechlinghoven ein Wohnidyll, das bis heute Bestand hat – die Mutter-Barat-Siedlung. Mit einfachsten Mitteln und viel Muskelkraft, mit großem Gemeinschaftssinn wurde hier ein Gesamtwerk geschaffen, dessen Umsetzung heutzutage gar nicht vorstellbar wäre.

 Die Bürgerstuben an der Ecke Karmeliterstraße / Stegerwaldstraße, das Haus von Familie Patt.

Die Bürgerstuben an der Ecke Karmeliterstraße / Stegerwaldstraße, das Haus von Familie Patt.

Foto: Patt

„Es war Knochenarbeit“, diktierte Rudi Rösner, einer der Ur-Siedler, einem Journalisten der Beueler Nachrichten 1985 in die Feder. „Wir waren voller Spannung und Erwartung auf das neue Heim.“ Diese Grundstimmung wirkte wie ein Motor auf die 43 Siedlerfamilien, die sich innerhalb von drei Jahren in Eigenarbeit und Nachbarschaftshilfe ein eigenes Häuschen hinsetzten. „Nicht jeder konnte sich vorstellen, dass ungelernte Arbeiter ein ganzes Haus bauen können“, sagte Rösner damals. Jeder Bauherr brachte Fähigkeiten mit in die Gemeinschaft ein, die allen zugutekamen. Die Siedler sollten eine gewisse Selbständigkeit mit Viehhaltung und eigenem Ackerbau erlangen, die sie wirtschaftlich unabhängig machte. „In diesem Sinne“, erzählt Rudi Rösner, „war unsere Garage damals als Stall für Ziegen und Schafe deklariert worden.“

 Die Siedlung in der Mutter-Barat-Straße - man erkennt den einheitlichen Baustil.

Die Siedlung in der Mutter-Barat-Straße - man erkennt den einheitlichen Baustil.

Foto: Rainer Schmidt

Wer ein Haus bauen wollte, musste bestimmte Bedingungen erfüllen

Werbung für die neue Siedlung machte der damalige Pfarrer in der Adelheidiskirche. Voraussetzung, um überhaupt in die Interessentenliste aufgenommen zu werden, war der Wille zur Arbeit, der Wille zum Sparen und die Mitgliedschaft im katholischen Nikolauswerk, dem damaligen Familienzentrum der Gemeinde. Jeder Siedler konnte sich 650 Quadratmeter aus der Fläche aussuchen. Zwei Haustypen, die das Architekturbüro Bury aus Brühl entworfen hatte, standen zum Bau zur Auswahl. So konnten Schalungen für den Grundriss mehrfach benutzt werden, Effizienz wurde großgeschrieben.

Am 2. Mai 1961 wurde die erste Baugrube ausgehoben – in Handarbeit und nicht mit einem Bagger. In Gemeinschaftsarbeit wurden binnen drei Jahren die Häuser hochgezogen. Vier gelernte Maurer waren unter den Siedlern, die die Laien anlernten. „Dieser Gemeinsinn existiert heute noch in der Mutter-Barat-Siedlung“, berichtet Lilo Patt-Krahe, deren Eltern hier eines der Häuser gebaut hatten. „Die drei Jahre, die man zusammen baute, schweißten die Menschen zusammen.“ Die Bausubstanz wird auch heute noch als gut bezeichnet. Zum Kaufpreis erzählt Christoph Rotter, dessen Eltern rund zwei Jahre nach Baubeginn eingezogen waren: „Soweit ich mich erinnern kann, erwähnten meine Eltern mal einen Gesamtpreis für die Erstellung des Hauses inklusive Grundstück von 80.000 DM. Fast alle Familien in der Siedlung hatten drei Kinder, da war immer was los, Langeweile gab es nicht.“

Große Flächen stand für Ackerbau und Viehzucht zur Verfügung

 Die Siedlung heute. Hier die Karmeliterstraße. Das rechte Haus ist das, in dem die Bürgerstuben untergebracht waren.

Die Siedlung heute. Hier die Karmeliterstraße. Das rechte Haus ist das, in dem die Bürgerstuben untergebracht waren.

Foto: Rainer Schmidt

Natürlich war nicht jede Garage als Stall vorgesehen, doch jeder „Stall“ war so groß, dass auch heutige Autos reinpassen. Durchwandert man die Siedlung, dann kann man heute noch erkennen, wie groß die Grundstücke für heutige Maßstäbe sind und wie viel Fläche für „Ackerbau und Viehzucht“ zur Verfügung stehen.

 Familie Patt beim Einzugsfest. Klein Lilo auf den Armen ihrer Mutter.

Familie Patt beim Einzugsfest. Klein Lilo auf den Armen ihrer Mutter.

Foto: Patt

Etwas kann man nicht mehr sehen: Es gab auch ein Gasthaus in der Siedlung. An der Ecke Karmeliterstraße/Stegerwaldstraße waren von 1973 bis 1986 die „Bürgerstuben“. „Wir waren die ersten, die hier Gewerbe gemacht haben“, erinnert sich Patt-Krahe. „Alles hat mit einem kleinen Imbiss, einem offenen Verkauf aus unserer Garage, angefangen.“ Dann hat ihr Vater Anfang der 70er Jahre „angebaut“, das heißt ein gleiches Haus direkt daneben noch einmal errichtet. „Die Patts sind wie die Maulwürfe. Irgendwann kommen sie in unserem Garten heraus, weil sie so gerne bauen“, soll es damals in der Siedlung geheißen haben. Das zweite Haus nannte sich dann zuerst „Trinkhalle mit offenem Imbissverkauf“, später „Bürgerstuben“. „Da, wo Sie jetzt sitzen“, so Patt-Krahe zum GA-Reporter, „da war die Theke. Und dort in der Ecke, da war der Stammtisch“, erinnert sie sich noch daran, als wäre es gestern gewesen. „Nach einem Umbau sind wir dann Ende 86 selber in dieses Haus eingezogen.“

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