Glockenspiel in Ottawa und Beuel Die Carilloneurin aus Kanadas Hauptstadt erinnert sich an ihren Besuch in Sankt Josef

OTTAWA/BEUEL · Es gibt Musiker, die sind bei ihrem Vortrag nicht zu sehen, sondern nur zu hören. Ihr Spieltisch befindet sich oftmals in schwindelerregenden Höhen, recht einsam in einem Turm. Doch sie lieben ihr Instrument, das Carillon. Andrea McCrady ist eine von ihnen, geht dem Spiel sogar hauptberuflich nach. Und zwar im Peace Tower des Parlaments in Kanadas Hauptstadt Ottawa. Eine neugierige Frau, die sich auch für die anderen Glockenspiele dieser Welt interessiert. Eine Reise führte sie 1976 auch nach Beuel, wo sie das Carillon von Sankt Josef an der Hermannstraße spielte.

 In dem Turm des Peace Towers von Ottawa spielt täglich Andrea McCrady.

In dem Turm des Peace Towers von Ottawa spielt täglich Andrea McCrady.

Foto: Bongartz

"Ihr Name sagt mir was", meint Andreas Strauß, der sich um das Carillon in Beuel kümmert - übrigens das größte der Stadt, gefolgt von dem in Bad Godesberg. Strauß erinnert sich, dass er McCrady schon einmal auf einem Weltkongress in den Niederlanden gesehen hat, doch miteinander gesprochen hätten sie da nicht. In Sankt Josef gibt es ein kleines Gästebuch, doch auch da fand er den Eintrag des Besuchs aus Übersee nicht. Doch viel zu sagen hat das nicht.

McCrady müsste auch nachschlagen, wann genau sie am Rhein war, entweder im März oder Juli 1976. Sie erinnert sich aber noch genau, dass sie auch im Beethovenhaus war. Doch diesmal geht es anlässlich seines Geburtstags um den Komponisten Schubert. Sie justiert die Drähte am Instrument, was man draußen hören kann. "Man muss die Leute mit seiner Musik ansprechen", sagt die Medizinerin, die diesen Job an den Nagel gehängt hat und seit 2008 auf rund 70 Metern Höhe in Ottawa spielt. Täglich. Erst erklingt automatisch die Big-Ben-Melodie, dann schlägt's zwölf und das Konzert beginnt - wie immer - mit der Nationalhymne "O Canada". Wie es sich für einen Konzertmusiker gehört, trägt sie Schwarz (es könnten ja mal Besucher kommen), dazu eine Anhänger mit dem Parlament um den Hals und kleine Glocken als Ohrringe.

Besucher hat auch Strauß des Öfteren. So kletterten regelmäßig amerikanische Mathematiker die 50 Meter in den Kirchturm empor, fand der gebürtige Würzburger übers Gästebuch heraus. Einige von ihnen beherrschen auch das Carillonspiel. Was nicht unüblich ist, denn an vielen US-Unis gebe es aus Tradition solche Instrumente, sagt Strauß. Er selbst hat seine Leidenschaft dafür in den 80er Jahren bei einer Radtour in den Niederlanden entdeckt. Um Carillons sei es dann irgendwann etwas stiller geworden. So auch in Sankt Josef, wo das 1960 gebaute Schilling-Instrument wohl irgendwann Schaden nahm, man Reparaturen verschleppte und die Glocken in Vergessenheit gerieten. 2010 kam die Sanierung mit großer Hilfe des Schiffer-Vereins Beuel. "Umkonstruiert wurde gar nichts", sagt Strauß, der sich wegen des Carillons nach NRW versetzen ließ. Die Drahtzüge (Trakturen), der Spieltisch, die Glocken - alles ist geblieben. Heute so etwas neu zu installieren, würde wohl rund 400 000 Euro kosten. Der ehrenamtliche Carilloneur hat zu Hause einen Übungstisch mit Klangplättchen statt Glocken...

...wie auch Andrea McCrady in Kanada. Das 20-minütige Konzert geht weiter mit Schuberts "Winterlied", der "Schönen Müllerin" oder der "Forelle". Selbst um die größte Glocke, den zehn Tonnen schweren Bourdon (Brummbass), anzuschlagen, braucht sie nur Ballettschuhe. "Ich tanze auf den Glocken", sagt sie beim Spiel der Pedale.

Die Tastatur drückt Strauß mit dem Handballen und kleinem Finger. Kurz vor dem Anschlag lässt er los. Es ist möglich, lauter oder leiser zu spielen. Von C1 bis D5 reicht die Spanne der Töne.

In Ottawa sind es nur 53 Glocken, allerdings geht es dort mit der größten Glocke eine ganze Oktav tiefer runter als in Beuel. Das Carillon in Kanada wurde am 1. Juli 1927 in Betrieb genommen. Immer freitags darf dann der Nachwuchs ran, wenn die Abgeordneten sich schon ins Wochenende verabschiedet haben. Dann macht der Turm auch schon mal komische Geräusche.

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