Kleines Jüdisches Lehrhaus Emil Ungar, der Pionier der Rechtsmedizin

OBERKASSEL · Der Gerichtsmediziner Burkhard Madea referierte im kleinen jüdischen Lehrhaus über das Leben des Juden Emil Ungar (1849-1934). Der Bonner gilt als Pionier der Rechtsmedizin im Deutschen Reich.

 Professor Burkhard Madea leitet das Institut für Gerichtsmedizin der Uni Bonn.

Professor Burkhard Madea leitet das Institut für Gerichtsmedizin der Uni Bonn.

Foto: Max Malsch

Wer einen genauen Blick wirft auf Jacques-Louis Davids bekanntes Gemälde "Der Tod des Marat" würde die Wunde auf dem Oberkörper des Verstorbenen in der Badewanne als einfache Schnittverletzung bezeichnen.

Professor Burkhard Madea, Direktor des Instituts für Gerichtsmedizin der Uni Bonn, hingegen spricht von "einer horizontal verlaufenden gradlinig glattrandigen Haut-Unterhautfettgewebsdurchtrennung", die mehr verrate, als der Laie vermutee.

Madea referierte am Dienstagabend im kleinen jüdischen Lehrhaus über Emil Ungar (1849-1934), dem Pionier der Rechtsmedizin in Bonn und maßgeblich verantwortlich für die Etablierung des Faches im gesamten Deutschen Reich. Dabei gewährte Madea neben einer gerichtsmedizinischen Analyse des toten Marats von Davids Gemälde Einblick in die Geschichte seines Fachgebiets.

Ungar, Spross einer jüdischen Familie, verbrachte Kindheit, Schule und Ausbildung in Bonn. Nach seiner Promotion arbeitete er in der Poliklinik und wurde Kreiswundarzt. 1883 kurz nach seinem Habilitationsgesuch für die Fächer Staatsarzneikunde und Innere Medizin war er als Kreisphysikus zuständig für alle gerichtsmedizinischen Untersuchungen in Bonn und übernahm die Leitung der Kinderpoliklinik.

Die Kinderheilkunde sollte Zeit seines Lebens das zweite Steckenpferd Ungars bleiben. Der Bonner behandelte lediglich unterstützt durch seine Studenten 2500 Patienten im Jahr.

Anders als der Großteil seiner Kollegen im Deutschen Reich habe Ungar "deutlich mehr individuelle Leistung gezeigt", so Madea. Um wie die anderen Professoren nebenbei noch Bücher zu schreiben, blieb keine Zeit. Über seine vielfältigen Tätigkeiten hinaus kämpfte er für die akademische Würdigung seiner Arbeit.

Die Rechtsmedizin, ein Zusammenschluss aus Teilgebieten wie Anthropologie, Pathologie, Verkehrsmedizin oder Toxikologie, genoss keine ausreichende Förderung. Die eigenständige Professur sollte ihm anfänglich verwehrt bleiben, der Nachwuchs fehlte und ein Institut bekam er nie.

Trotzdem blieb Ungar kritisch sich selbst und seinem Fach gegenüber und befasste sich mit möglichen Ursachen für den schlechten Stand der Rechtsmedizin. Wegweisend dazu sein 1888 gehaltener Vortrag "Die Bedeutung der Gerichtlichen Medizin und deren Stellung an deutschen Hochschulen".

Der in Universitätskreisen und in der Bevölkerung geschätzte Ungar wurde als edler und humaner Arzt beschrieben, seine Studenten zeigten Vertrauen und Zuneigung zu ihm. Zum 80. Geburtstag wurde er mit einer Festschrift der bedeutendsten deutschen Fachvertreter seines Gebiets gewürdigt.

1934 starb er 84-jährig einen "gnädigen, rechtzeitigen Tod", so Madea. Jüdische Kollegen seien dem Nationalsozialismus zum Opfer gefallen. Leah Rauhut-Brungs vom jüdischen Lehrhaus dankte Madea für den lehrreichen Vortrag.

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