Interview: Andrea Profitlich "Es ist einfach, tut nicht weh und macht Spaß"

Bonn · Das Thema Flüchtlinge hat für Andrea Profitlich bis vor wenigen Wochen nur in den Nachrichten stattgefunden. Doch dann brachte die Stadt Bonn mehrere Asylsuchende in einem Haus auf ihrer Straße unter. Auf einmal erhielt das Thema ein Gesicht. Was sich seitdem im Leben der Beuelerin verändert hat, warum sie soziale Medien mehr denn je schätzt und warum aus ihrer Sicht jeder etwas tun kann, verrät sie im GA-Interview.

 Vom Esszimmertisch aus organisiert Andrea Profitlich die nachbarschaftliche Flüchtlingshilfe in Beuel.

Vom Esszimmertisch aus organisiert Andrea Profitlich die nachbarschaftliche Flüchtlingshilfe in Beuel.

Foto: Max Malsch

Auch auf die Gefahr hin, falsch verstanden zu werden: Flüchtlinge auf der Rheinaustraße, einer teuren Wohnlage in Beuel, erwartet man nicht unbedingt?
Andrea Profitlich: Am Anfang waren wir auch überrascht. Viele hatten die Unterbringung in Turnhallen im Hinterkopf. Aber es ist ein ganz normales Wohnhaus, das wohl an die Stadt vermietet worden ist.

Was geschah nach der Ankunft der Familien?
Profitlich: Meine Mutter kam eines Tages nach Hause, rannte direkt wieder los, um Windeln zu kaufen, und ich habe sie nur fragend angeschaut. Sie meinte dann, die Flüchtlinge hätten nur Feldbetten, aber keine Tasse, keinen Teller, nichts sonst. Unter den Ankömmlingen waren auch ein sechs Wochen alter Säugling und fünf Kinder.

Hilfe musste also her?
Profitlich: Erstmal haben wir unsere Keller durchforstet. Aber es hat sich schnell abgezeichnet, dass auch Unterstützung im Alltag nötig ist. Eine Freundin von mir hat eine Bewohnerin aus dem Haus auf der Straße getroffen, die völlig verwirrt war und einkaufen wollte. Meine Freundin ist mitgegangen, weil sich rausstellte, dass der Supermarkt die Lebensmittelgutscheine vorher nicht hatte annehmen wollen.

War Ihr Einsatz willkommen?
Profitlich: Als wir reinkamen, sind wir sofort geherzt worden. Es handelt sich um zwei Familien aus dem Irak und eine aus Syrien. Ich hatte mir im Internet ein Begrüßungsschreiben auf Arabisch übersetzt. Inzwischen fungiert ein Hausbewohner als Übersetzer, er spricht sehr gut Englisch.

Hier könnte die Geschichte enden!
Profitlich: Nein, mein Helfergen war geweckt. Abends habe ich einen Facebook-Aufruf gestartet, dass ich Kleidung suche für unsere neuen Nachbarn. Der Rücklauf war enorm. Danach hab ich durch Zufall Kontakt zur Arbeiterwohlfahrt bekommen, die uns kostenlos mit Einrichtungsgegenständen wie einer Waschmaschine versorgt hat. Ich bin immer mit einem der männlichen Flüchtlinge los und habe die Sachen abgeholt. Über Facebook haben sich auch Freunde von Freunden gemeldet, spontan einen Ranzen oder Staubsauger gekauft.

Agieren Sie alleine?
Profitlich: Es hat sich ein Pool aus sechs Leuten entwickelt. Der eine kümmert sich darum, dass ein Konto eröffnet wird, der andere macht Behördengänge, der nächste Arztbesuche. Irgendwas ist immer zu tun. Ich habe einen Jungen in der Josefschule angemeldet. Die älteren Jungs möchte ich gerne an der Gesamtschule unterbringen. Für die Erwachsenen organisieren wir gerade Sprachschulen. Wir halten per Whatsapp Kontakt. Und wenn wir weitere Hilfe brauchen, greifen wir auf die Facebook-Seite "Die Macher" zurück, einer Plattform für Flüchtlingshilfe.

Hört sich an, als liefe alles problemlos ab?
Profitlich: Na ja, dem Grundschüler muss ich schon vermitteln, dass er pünktlich um 8 Uhr in der Schule sein muss. Außerdem brennt ständig und in jedem Zimmer das Licht. Oder die Fenster sind trotz laufender Heizung stundenlang auf. Dann muss man eben auch klarmachen, dass Energie in Deutschland Geld kostet. Und bei so vielen Menschen auf engem Raum ist Lärm ebenfalls ein Punkt, den man den direkten Nachbarn zuliebe thematisiert. Zudem müssen sich Jesiden und Muslime, Männer und Frauen miteinander arrangieren.

Meinen Sie, dass Ihre Art zu helfen, Zukunft hat, gerade wenn der Flüchtlingsstrom anhält?
Profitlich: Das kann ich nicht sagen, noch aber gibt es Gott sei Dank viele Initiativen wie die unsere. Mein Anliegen: Es ist einfach, es tut nicht weh und macht Spaß. Trotzdem sollte über eine gerechtere Verteilung der Kontingente in der EU nachgedacht werden. Aber das sind nicht unsere Fragen. Ich gucke einfach: Was kann ich jetzt tun. Und wenn meine Flüchtlinge mir in 20 Jahren sagen, "Andrea, danke, dass Du uns anfangs geholfen hast", und sie ihren Weg gemacht haben, dann habe ich mein Ziel erreicht.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort