Junges Theater in Beuel Jugendliche führten selbst verfasstes Stück auf

BEUEL · Freundschaft, Liebe, Sex: Für pubertierende Jugendliche seit eh und je wichtiges Thema. Vor genau hundert Jahren wurde Wedekinds 1891 erschienene Kindertragödie "Frühlings Erwachen" von der Zensur endgültig für die Bühne freigegeben. Heute scheint es keine Tabus mehr zu geben.

 Spaß mit der Flaschendreh-App: Szene aus der Neuproduktion des Jungen Theaters.

Spaß mit der Flaschendreh-App: Szene aus der Neuproduktion des Jungen Theaters.

Foto: Jennifer Zumbusch

Es mangelt nicht an Aufklärung, jedes Kind kann sich Pornos im Internet anschauen oder aufs Handy laden. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung kommt gleichwohl zu überraschenden Schlüssen: Die heutigen 13- bis 17-Jährigen handelten sexuell verantwortungsbewusster als die Vorgängergeneration. Echte Partnerschaften und Gefühle seien ihnen wichtiger als Gangbang-Partys und Hardcore-Erfahrungen.

Am Jungen Theater Bonn haben Jugendliche selbst zusammen mit dem Regisseur Moritz Seibert (auch verantwortlich für das schlichte Bühnenbild) ein Stück zum Thema entwickelt. Das garantiert über den Plot hinaus sprachliche Authentizität, aber auch die Sensibilität, mit der die Betroffenen ihre Probleme präsentiert sehen möchten.

Leon Döhner und Carlo Hajek haben sich ihre Dialoge selbst auf den Leib geschrieben, am Text mitgewirkt haben aus dem Nachwuchs-Ensemble noch Jannik Beckonert, Gilda Masala und Marie Bendig, die jedoch nicht auf der Bühne sind. Alle waren beteiligt bei dem auf ähnliche Weise erarbeiteten, 2011 uraufgeführten Stück "Wenn ich Du wär", dessen Erfolg den JTB-Intendanten Seibert ermutigte, noch einen Schritt weiterzugehen.

"Ich sehe was, was du nicht siehst", im JTB uraufgeführt, verzichtet auf einen komödiantischen Handlungsstrang und setzt auf die psychologische Komplexität der Figuren. Die Rollen (alle jungen Schauspieler sind Jahrgang 1996/97) wurden deshalb nicht wie sonst üblich doppelt besetzt.

Zu lachen gibt es natürlich einiges, wenn die beiden Mädchen vergessen, Skype auszuschalten und die Jungs mithören können, was sie sich so erträumen. Emily (Bianca Lehmacher) denkt vor allem an ihr bevorstehendes Schuljahr in den USA und irgendwie auch an den attraktiven Sohn ihrer Gastfamilie. Ein bisschen Erfahrung vorher könnte nicht schaden, mit dem hübschen Wuschelkopf Felix (Victor Pasztor) wäre das durchaus vorstellbar.

Die kokette Clara (Mascha von Kreisler, zum ersten Mal in einer professionellen Produktion zu erleben), die gern knappe Shorts trägt (Kostüme: Brigitte Winter), möchte es romantisch. Ein Junge, der ihr Gedichte schreibt, wäre toll. Finn (Carlo Hajek), bis über beide Ohren verknallt in Clara, macht sich also gleich ans Werk, was ihm sein bester Freund Luca (Leon Döhner) gründlich versaut.

Ein gemeinsamer Wochenend-Ausflug zum Ende des Schuljahrs, das die Trennung ihrer Lebenswege markiert, soll einfach Spaß bringen. Zelten, Schwimmen, Chillen an einem einsamen Waldsee, und vielleicht noch etwas mehr. Sekt und Bier haben sie reichlich dabei, ein prickelndes Flaschenspiel am Lagerfeuer könnte die Kleidung dezimieren.

Für Kondome ist gesorgt, blaue Pillen fanden sich zur Erheiterung des Publikums in Opas Wander-Rucksack, etwas Gras hat Felix stets griffbereit. Bis Emily nicht mehr mitspielen will und plötzlich einen fremden Mann im Gebüsch sieht. Die Handys haben keinen Empfang, was aber nur der Anfang einer Albtraumnacht ist, aus der einer vielleicht nicht mehr erwachen wird.

In der neuen JTB-Inszenierung zeigen die Jugendlichen individuelle Gesichter: nachdenklich und bei aller Coolness emotional höchst verletzlich. Glücklicherweise gibt es die verständnisvolle Ärztin (Anja von der Lieth als einzige erwachsene Profi-Schauspielerin), die begreift, dass etwas Entscheidendes passiert ist bei dem Sommernachtstraum, der zum Horrortrip wurde. Ein Sonderlob für die filmreife Begleitmusik verdient Serge Weber. Großer Premierenbeifall.

Weitere Infos: Geeignet für Publikum ab 14 Jahren. Nächste Abendvorstellungen am 29./30. Juni, 19.30 Uhr. Karten u. a. in den Bonnticket-Shops in den GA-Zweigstellen. Infos: www.jt-bonn.de

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