Beueler Schulprojekt gegen sexualisierte Gewalt Kinder lernen, sich vor Übergriffen zu schützen

Beuel · Rund eine Million Kinder in Deutschland sind von sexualisierter Gewalt betroffen. Die Beueler Paul-Gerhardt-Schule sensibilisiert Schülerinnen und Schüler dagegen. Eine zentrale Rolle spielt dabei eine „Nein-Tonne“.

 Die Grundschüler bei der Aufführung des Theaterstücks gegen sexualisierte Gewalt.

Die Grundschüler bei der Aufführung des Theaterstücks gegen sexualisierte Gewalt.

Foto: Benjamin Westhoff

Die Zahlen sind erschreckend und kaum auszuhalten: Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO sind in Deutschland rund eine Million Kinder von sexualisierter Gewalt betroffen. Die Organisation Childhood schätzt zudem, dass es hierzulande in jeder Klasse ein bis zwei Opfer solcher Übergriffe gibt. Um Kinder bereits in jungen Jahren vor Übergriffen zu schützen, setzen Eltern, Pädagogen sowie Polizei auf Prävention. Im besten Fall werden Mädchen und Jungen bereits im Kindergartenalter sowie in der Grundschule sensibilisiert und gestärkt. Diesen Weg geht jetzt auch die Paul-Gerhardt-Schule an der Beueler Neustraße: Mit zwei Projekten werden in diesen Tagen die Schülerinnen und Schüler durch Schauspieler der Theaterpädagogischen Werkstatt Osnabrück für körperliche Grenzverletzungen sensibilisiert.

Laut Statistik des Bundeskriminalamtes stiegen die Fälle von Kindesmissbrauch 2020 im Vergleich zum Vorjahr um 6,8 Prozent auf über 14.500 Fälle an. Ein besonders großes Problem ist Kinderpornografie. Da verzeichneten die Ermittler eine Steigerung um 53 Prozent auf 18.761 Taten. Die Dunkelziffer ist jedoch wesentlich größer.

An der Beueler Schule sollen die Kinder lernen, wie man sich wehrt und vor Übergriffen schützt. Zudem werden die kleinen Zuschauer ermutigt, ihren Gefühlen zu vertrauen – eine unverzichtbare Lektion für die Entwicklung eines starken Selbstbewusstseins.

Mit der Aufführung der „Nein-Tonne“ startete die Aktion jetzt. Finanziert wird das Programm unter anderem durch die Hannah-Stiftung gegen sexuelle Gewalt aus Königswinter sowie die Johannes-Nepomuk-Stiftung aus Beuel. Im Vorfeld wurde das Kollegium geschult sowie die Eltern ausführlich informiert.

Auf körperliche Grenzen bestehen

„Ich freue mich, dass wir dieses Projekt hier bei uns anbieten können“, sagt Veronika Scheele, die Kinderrechtsbeauftragte der Schule. „Die Kinder sollen ermutigt werden, auch anderen gegenüber auf Distanz zu gehen sowie auf körperliche Grenzen zu bestehen“, ergänzt sie. Während die Kleinsten (1. und 2. Schuljahr) die Geschichte der „Nein-Tonne“ auf der Bühne erleben, greifen die Schauspieler das Thema sexuelle Gewalt mit dem Stück „Mein Körper gehört mir!“ für die 3. und 4. Klasse auf.

Dabei ist die Geschichte der Nein-Tonne so ganz nach dem Geschmack der Kinder. Denn jeder im Publikum kennt die Situation: Ein Erwachsener sagt, was getan werden muss, und das Kind muss gehorchen. Doch das kann manchmal ziemlich blöde sein. „Wie wäre es, wenn wir eine ‚Nein-Tonne‘ hätten“, schlägt einer der beiden Schauspielpädagogen vor. „Darin soll alles hinein, was wir nicht wollen oder doof finden.“

Gesagt, getan. Sofort wird eine große Tonne auf die Bühne gerollt und mit Schwung laden die doofen Anweisungen hinein – heftig umjubelt und angefeuert von den kleinen Zuschauern.

„So erforschen wir mit Kindern unsere individuellen Nein-Gefühle und verdeutlichen dabei den Unterschied zwischen sinnvollen Regeln, die für alle nützlich sind, und willkürlichen Vorschriften, die kein Kind hinnehmen muss. Sie erkennen: Zähneputzen ist einfach wichtig. Aber wenn Erwachsene bestimmen wollen, dass die Suppe nicht zu heiß ist, um sie zu essen, überschreiten sie ihre Grenzen“, erklären die Osnabrücker Theatermacher.

Im Workshop „Mein Körper gehört mir“ lernen die älteren Schüler anhand von alltäglichen Szenen, dass sie sich in bestimmten Situationen auf ihre Intuition verlassen sollen und so ein gesundes Ja/Nein-Gefühl entwickeln. So sollen Selbstwert, Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein gestärkt werden.

Den zentralen Baustein bildet dabei ein Theaterstück, das den Schülerinnen und Schülern in kindgerechter Weise die zentralen Botschaften „Ja-Gefühl und Nein-Gefühl“ sowie „schlechte Geheimnisse und gute Geheimnisse“ nahebringt. Gleichzeitig sollen Kinder ermutigt werden, sich Vertrauenspersonen zu öffnen.

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Von GA-Redakteur
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