Jubiläumsausgabe von Ohrenkuss aus Beuel Seit 25 Jahren schreiben hier Menschen mit Down-Syndrom

Beuel · Seit 25 Jahren geben Autorinnen und Autoren mit Down-Syndrom die Zeitschrift Ohrenkuss heraus. Nun steht die 50. Jubiläumsausgabe an. Was bewegt die Redaktion?

Ohrenkuss-Redaktionssitzung im Haus Amaryllis: Chefredakteurin Katja de Bragança (l.) bespricht mit ihren Autoren die kommende Ausgabe.

Ohrenkuss-Redaktionssitzung im Haus Amaryllis: Chefredakteurin Katja de Bragança (l.) bespricht mit ihren Autoren die kommende Ausgabe.

Foto: Stefan Knopp

„Gut. Ganz gut. Alles Fair kämpfen. Festhalten. Gewinnen. Ganz hoch. Nummer Eins.“ Das ist Poesie, was Julian Balduff da formuliert hat – aus unserer Sicht. Der junge Mann hat einfach seinen Judo-Sport beschrieben. Er hat das Down-Syndrom, und das ist eine wesentliche Voraussetzung, um Autor beim Magazin Ohrenkuss zu werden.

In der aktuellen Ausgabe geht es um Sport, und die Schreibenden lassen uns daran teilhaben, wie sie ihn wahrnehmen. „Gewonnen fühlt sich gut an“, schreibt Wolfgang Eiteneuer. „Ich fand es sehr gut. Und ich glaube, ich habe verloren.“ Das kommt von Dominik Thiele. Und Luke Jörgens schreibt: „Der Schiri macht immer rote Karten zeigen.“

Jetzt gilt es, die Jubiläumsausgabe von Ohrenkuss vorzubereiten. Im kommenden Jahr wird das Magazin 25 Jahre alt und bringt die 50. Ausgabe heraus. Die Redaktionskonferenz im Haus Amaryllis in Vilich-Müldorf findet erstmals mit Autorinnen und Autoren vor Ort und online statt. „Das finde ich voll gut irgendwie“, sagt Daniel Rauers bei der Vorstellungsrunde. Die gehört immer dazu.

Alle freuen sich, einander zu sehen. Sie erzählen, wie es ihnen geht. Sie wohnen in verschiedenen Städten, Michael Häger etwa, der seit der ersten Ausgabe 1998 dabei ist, lebt in Euskirchen in einer besonderen Einrichtung. Von Spendengeldern konnte man ihm irgendwann ein eigenes Tablet kaufen, erzählt Chefredakteurin Katja de Bragança, aber es sei schwer gewesen, ihn online zu bringen, da die Bewohner damals och kein eigenes WLAN in ihren Wohnungen gehabt hätten. Das hat geklappt, Häger winkt aus dem kleinen Fenster in der Video-Gruppenkonferenz.

Thema der Sitzung soll „Down the Road“ sein, eine ARD-Fernsehproduktion, für die Sänger Ross Anthony mit sechs Menschen mit Down-Syndrom eine Menge Abenteuer erlebt. Das kommt bei den Autoren gut an, „abenteuerlustig, cool und flockig“ findet es Johanna von Schönfeld.

Ein abenteuerlicher Film

„Der Film war richtig romantisch und schön und auch abenteuerlich“, sagt Marley Thelen. Und Natalie Dedreux, die genauso alt ist wie das Magazin, urteilt: „Es ist einfach cool, dass Menschen mit Down-Syndrom da gezeigt werden, das ist mega wichtig.“

Ohrenkuss, sagt Redakteurin Anne Leichtfuß, ist kein sozialer Verein, sondern eine Firma, und zwar eine besondere, in der die Uhren anders ticken, für alles viel Zeit eingeräumt wird und nichts perfekt sein muss. In dem halbjährlich erscheinenden Magazin stehen keine investigativen Artikel rund ums Down-Syndrom, sondern Statements zu bestimmten Themen, die aus der Seele der Autoren kommen und ein wenig in diese hineinblicken lassen.

Einige sind von der Schule aus zu Ohrenkuss gekommen, der 28-jährige Paul Spitzeck zum Beispiel. Anna-Lisa Plettenberg macht seit 2007 mit, „weil ich Lust drauf habe, mit anderen Autorinnen und Autoren zu schreiben“. Theresa Knopp ist dabei, „weil ich dadurch coole Leute kennengelernt habe mit Down-Syndrom – richtig coole“, erzählt sie. Für sie war das bisher spannendste Heft das zum Thema Paradies. Jeder hat da seine eigenen Vorlieben, für Thelen ist es Natur, für Martin Weser Luxus, „weil der Name mir gefällt: Luxus“, und Dedreux erinnert sich gerne an das Ukraine-Heft.

Themen wie „Schönheit“, „Ozean“ und die Ukraine

„Das Heft Schönheit fand ich so schön, dass ich nicht schlafen konnte“, gibt Anna-Lisa Plettenberg zu. Sie wurde in Schuhen mit Absätzen fotografiert, „das hatte mir fast die Füße unter meinem Boden weggezogen“. Ansgar Peters Lieblingsausgabe war das Heft Ozean. Und: „Irgendwas mit lustig. Es war schön warm draußen, und es war lustig. Das hat mir Schmunzeln beigebracht. Da hab ich noch meine Erinnerung dran.“

Und warum engagiert sich die Gründerin? Die Biologin und Humangenetikerin hatte in Bonn gearbeitet und dabei viele Menschen mit Down-Syndrom kennengelernt – und das falsche Bild, das ihrer Ansicht nach oft auch Mediziner haben, die es an Eltern weitergeben. „Ich finde es korrekt, Leute zu beraten und zu informieren, aber wenn man es falsch macht, ist das eine Katastrophe.“ Sie wollte wissen, woher diese Lehrmeinung kam, die für sie „hinterm Mond“ war, und startete ein Forschungsprojekt an der Bonner Uni. „Daraus ist Ohrenkuss entstanden“, so de Bragança.

„Ich habe dabei kapiert: Die haben eine coole Art zu schreiben.“ Bei der Arbeit mit den Autorinnen und Autoren mit Down-Syndrom müsse man vieles beachten. „Ich merke das immer, wenn wir Praktikanten haben, die Schreib-Assistenz leisten.“ Ihr fällt das inzwischen leicht.

Sie freut sich, dass es Fortschritte gibt. Zum einen in der Förderung zumindest für die Kinder, die inzwischen auch ganz normal mit digitalen Medien aufwachsen. Den Erwachsenen mit Down-Syndrom fehle es an Möglichkeiten der Erwachsenen-Bildung. Zum anderen würden diese Menschen aber auch selbstbewusster, forderten Rechte ein: „Warum werde ich geduzt, andere nicht?“ Ihr selbst macht die Arbeit an Ohrenkuss auch Spaß. „Ich freue mich, wenn etwas klappt, wenn jeder sich entfalten kann. Das fühlt sich einfach gut an.“

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