Ehrenamt in Beuel Schiedsleute sind bei großen und kleinen Streitigkeiten gefragt

Oberkassel · Michael Mertens hat das Ehrenamt der Schiedsperson für den Bezirk Oberkassel übernommen. Mit Ulrich Twrsnick ihm ein erfahrener Mentor zur Seite. Gemeinsam kümmern sie sich Streitigkeiten zwischen Bürgern, manchmal auch ganzen Gruppen.

 Michael Mertens (65) ist der neue Schiedsmann für den Bezirk Oberkassel.

Michael Mertens (65) ist der neue Schiedsmann für den Bezirk Oberkassel.

Foto: Niklas Schröder

Nach 45 Dienstjahren bei der Polizei ist Michael Mertens (65) vor kurzem in den Ruhestand gegangen. Ganz zur Ruhe setzen will sich der Bonner aber nicht. Mertens gibt Deutschkurse für junge Migranten und hat das Ehrenamt der Schiedsperson für den Bezirk Oberkassel übernommen. Die Aufgabe des Amtes besteht darin, als Vorstufe zum Gerichtsverfahren kleinere Meinungsverschiedenheiten und Streitigkeiten zu schlichten und im Sühneverfahren einen Vergleich herbeizuführen.

Dabei geht es zum Beispiel darum, Nachbarschaftsstreitigkeiten oder Ärger in Zusammenhang mit Mietverhältnissen zu schlichten. Die Schiedsperson wird für fünf Jahre von der zuständigen Bezirksvertretung gewählt und kann wiedergewählt werden. Insgesamt ist das Stadtgebiet der Bundesstadt Bonn in zwölf Bezirke eingeteilt. Im Teilschiedsamtsbezirk Beuel, Vilich-Rheindorf und Schwarz-Rheindorf sucht die Stadt Bonn derzeit eine neue Schiedsperson.

Ein erfahrener Mentor steht ebenfalls parat

„Zuhause rumsitzen ist für mich nichts, denn ich möchte meiner Heimat etwas zurückgeben und weiterhin im Leben bleiben“, erläutert Mertens den Entschluss. Seinen ersten Fall hat der Schiedsmann bereits übernommen. „Man merkt zum einen die Unsicherheit bei dem Antragsteller, aber auch gleichzeitig die Freude, dass sich jemand kümmert“, schildert Mertens seine Eindrücke.

„Ich freue mich sehr, dass ich weiterhin Umgang mit Menschen habe und die eine oder andere Unzulänglichkeit regeln und steuern kann.“ Vorbereitet und begleitet bei den neuen „Herausforderungen und Erfahrungen“ wird Mertens vom Bund der Deutschen Schiedsmänner und -Frauen (BDS). Mit Ulrich Twrsnick steht dem ehemaligen Polizisten außerdem ein erfahrener Mentor parat.

„Pragmatische Lösungen“ finden

Twrsnick, Oberst a. D., führt seit 15 Jahren in Bad Godesberg das Amt der Schiedsperson aus und hat bereits 160 Fälle bearbeitet. „Wir haben ein Netzwerk von Kollegen und Kolleginnen etabliert, wo die Erfahrungen zusammengetragen werden und man sich gegenseitig unterstützt“, sagt der Bonner Beauftragte für die Schiedspersonen. Mit dem Schiedsamt versuche man „pragmatische Lösungen“ zu finden, wie etwa bei Nachbarschaftsstreitigkeiten, sagt Twrsnick. „Bevor etwas vor Gericht geht, erreichen wir mit einem relativ hohen Prozentanteil, dass beide Seiten sich wieder in die Augen gucken können.“

Gefragt seien vor allem die Fähigkeiten des Mediators, denn manche Streitereien existierten seit Jahrzehnten und warteten mit entsprechend langen Vorgeschichten auf. „Ein Gespräch kann einiges bewegen. Wir nehmen uns bei einer Tasse Kaffee viel Zeit und brechen gemeinsam mit beiden Seiten die Vorurteile auf“, berichtet Twrsnick. Kommen beide Seiten am Ende zur Einsicht und legen den Streit bei, ist das für den Schiedsmann ein großer Erfolg.

Gang vor Gericht ist deutlich teurer

Immer wieder seien unter anderen Unterschiede in Kultur, Alter und Bildung Auslöser für Konflikte. „Missverständnisse“ etwa müssten in Gesprächen anschließend aus dem Weg geschafft werden. „Das Miteinander im Gespräch ist meist deutlich wirksamer, als sich über Anwälte zu unterhalten“, betont Twrsnick. Zumal durch das Schiedsamt für einen kleinen Aufwandsbetrag ein „rechtsverbindliches Resultat“ erreicht werden könne. „Das sind teilweise sehr robuste Ergebnisse, die wir hier erzielen“, sagt Twrsnick. Deutlich teurer sei da der Gang vor Gericht.

Laut Angaben vom Bundesvorstand des BDS gibt es in Deutschland derzeit 4585 Schiedspersonen (Stand 31. Dezember 2020). Hinzu kommen Stellvertreter, deren genaue Zahl jedoch statistisch nicht erfasst wird. In NRW sind insgesamt 1070 Schiedspersonen gemeldet. 2020 wurden bundesweit 11.360 Zivilverfahren bearbeitet, davon 8163 obligatorisch, also verpflichtenden Regeln folgend. 5226 dieser Fälle wurden durch Vergleich erledigt.

In Seminaren können sich Schiedspersonen fortbilden

1411 Strafsachen wurden zudem in Deutschland bearbeitet; 512 wurden durch Vergleich erledigt. Zudem gab es in Deutschland in 2020 17.430 sogenannte Tür- und Angelverfahren. Tür- und Angelfälle (TAV) sind Verfahren, in denen keine protokollierte Verhandlung stattfindet. In diesen Verfahren versucht die Schiedsperson den Streit durch persönliche Vorsprachen und Intervention zu lösen. 2020 wurden in NRW 2059 Zivilverfahren bearbeitet. Hiervon waren 1896 obligatorisch, 1126 wurden durch Vergleich erledigt.

Zugleich wurden in 2020 143 Strafsachen bearbeitet, 58 dieser Verfahren wurden durch Vergleich erledigt. In Strafsachen gibt es im Übrigen nur obligatorische Fälle. Es gab im besagten Jahr 3147 sogenannte Tür- und Angelfälle in NRW. „Insgesamt belegen diese Zahlen tatsächlich die hohe Bedeutung, die das ehrenamtliche Wirken der Schiedspersonen für den sozialen Frieden in unserem Land hat“, sagt Bodo Winter, Hessischer Landesvorsitzender des BDS.

In mehreren Seminaren, die vom BDS angeboten und durchgeführt werden, können sich Schiedspersonen in Meditation aber auch in den Rechtsnormen, wie Straf- und Zivilrecht schulen lassen. Besondere Vorkenntnisse brauchen Interessierte im Vorfeld nicht: „Sie können Lehrer oder Zahnarzt sein – man sollte unbescholten, also nicht vorbestraft sein und kein Insolvenzverfahren gegen sich laufen haben“, sagt Winter. Eine Ausnahme besteht aber für praktizierende Volljuristen. Denn Rechtsanwalte oder Richter dürfen das Ehrenamt erst nach der Pensionierung ausüben.

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