Denkmäler in Beuel Wie ein offenes Geschichtsbuch

BEUEL · Der älteste noch vorhandene Grabstein stammt aus dem Jahr 1623. Heute setzen Grundwasser und Wildwuchs dem Jüdischen Friedhof in Beuel, der seit 1990 unter Denkmalschutz steht, zu.

Edith Ennen, Professorin für rheinische Geschichte und erste Leiterin des Bonner Stadtarchivs nach dem zweiten Weltkrieg, schrieb 1962 in "Geschichte der Stadt Bonn" über Grabinschriften auf dem Jüdischen Friedhof in Schwarzrheindorf von "nicht mehr vorhandenen Dokumenten". Heute sagt Gabriele Wasser, Vorsitzende des Vereins für Geschichte und Kultur der Juden der Rheinlande, dass dieser Friedhof ein großes, offenes Geschichtsbuch, ein Teil der rheinischen Geschichte sei, das nicht zugeschlagen werden sollte.

Gabriele Wasser muss es wissen, denn sie, rheinisch-römisch-katholisch, wie sie über sich selbst sagt, macht zusammen mit ihrem Mann Eli Harnik, einem Juden, nahezu jede zweite Woche eine Führung über diesen Friedhof. Sie kennt jeden Grabstein, jede Inschrift, jede Ecke. "Geerbt" habe sie diesen Ort von Karl Getzmer, dem Schreiber der Bonner Chronik. Der Friedhof liegt außerhalb von Schwarzrheindorf zwischen der Kläranlage und der Friedrich-Ebert-Brücke, unmittelbar hinter dem neu angelegten Hochwasserdeich. Wäre da nicht ein Hinweisschild auf dem Rad- und Fußweg, dann könnte der Friedhof leicht übersehen werden. Seit 1990 steht er unter Denkmalschutz.

435 Grabsteine auf dem Jüdischen Friedhof

Wann der Friedhof angelegt wurde, ist nicht geklärt. Der älteste noch vorhandene Grabstein stammt aus dem Jahr 1623. Da jedoch nur die reicheren Juden einen Grabstein gesetzt bekommen haben, liegt die Vermutung nahe, dass viele Gräber mit einer Holzgedenktafel geschmückt wurden. Doch Holz hat der Rhein bei seinen Hochwässern reichlich fortgespült. Heute sind auf dem Areal 435 Grabsteine vorhanden.

Doch auch an diesen nagt Vater Rhein im Untergrund. "Die Grabsteine, die kleineren und die größeren, hatten alle einmal gleiche Höhe", berichtet Wasser. "Davon ist deshalb nicht viel zu sehen, weil im Untergrund das Grundwasser den Boden weich macht und die Steine einsinken." Der Rhein war und ist der größte Feind des Friedhofs. Gleich danach kommen die Nazis, die im nördlichen Teil 1939 eine Flakstellung bauten, dazu viele Grabsteine benutzten und den Friedhof somit erheblich beschädigten. Heute ist die pflanzliche Verwilderung der aktuelle Feind.

"Wenn das so weitergeht", sagt Gabriele Wasser und zeigt auf reichlich Efeu an und um einen Grabstein herum, "dann ist dieser Grabstein in drei Jahren nicht mehr zu sehen." Das feuchte Erdreich lässt ihn einsinken, das Efeu deckt ihn zu. Der baumbestandene Begräbnisplatz bedarf dringend gärtnerischer Pflegemaßnahmen.

Ein Grab ist bei den Juden, im Unterschied zu christlichen Friedhöfen, für die Ewigkeit. Das gilt für die Gräber in Israel genauso wie für die jüdischen Grabstätten in Deutschland. Deshalb sind auch Erhaltungsmaßnahmen so wichtig. Zwischen 1966 und 1968 hat die Restauratorin Christel König-Wellershaus aus Waldbröl mehr als 100 Grabsteine von diesem Friedhof restauriert. Alle Grabsteine wurden samt ihren Inschriften vom Essener Steinheim-Institut in einer epigraphischen Datenbank dokumentiert.

Jüdische Berühmtheiten haben dort ihren Platz gefunden

Die Epigraphik befasst sich unter anderem mit Inschriften und kann Informationen über alte oder untergegangene Kulturen herausarbeiten. Auf diese Weise ist aus allen Grabsteinen herausgelesen worden, wer dort liegt und wann derjenige verstorben ist - auch wenn dies in mittelaltem Hebräisch eingemeißelt ist. Auch konnte man genau erkennen, ab wann die Juden einen Nachnamen bekommen haben. Vor Napoleons Zeit im Rheinland hatten sie nur einen Vornamen.

Einige jüdische Berühmtheiten haben hier ihren Platz gefunden. Jonas Cahn beispielsweise, der Gründer des ältesten Bonner Bankhauses, oder Maximilian Cohen, der Stammvater einer Buchhändler- und Verlegerfamilie, aus der die Buchhandlung Bouvier hervorging. Rachel Zuntz, die Gründerin der Bonner Kaffeerösterei, ist hier ebenso bestattet wie Bankier Salomon Oppenheim, ohne den der Kölner Dom wohl nicht ausgebaut worden wäre.

Das jüngste Grab stammt aus dem Jahr 1992. Die Besonderheit dabei ist, dass Theresia Weidenbaum, die hier beerdigt wurde, keine Jüdin war. Die Verdienste um die Unterstützung der Juden im "Dritten Reich" soll den Rabbi veranlasst haben festzustellen: "Dat wor ne jode Jüdin." Diese Aussage, so Gabriele Wasser, zeichnet das rheinische Judentum aus. Egal ob Christ oder Jude: Rheinländer bleibt eben Rheinländer.

Besichtigungszeiten

Der Jüdische Friedhof befindet sich rheinabwärts hinter dem Hochwasserdeich, zwischen Kläranlage und Friedrich-Ebert-Brücke. Er ist immer geöffnet - außer an jüdischen Feiertagen. Die Führungen von Gabriele Wasser sind im GA-Veranstaltungskalender aufgelistet. Gabriele Wasser ist zu erreichen per Mail an gabriele.wasser@t-online.de.

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