Nächtliche Schichten in Bonn-Beuel Was Volkmar Ebener in 27 Jahren als Zeitungsbote erlebt hat

Bonn · Vor 27 Jahren trug Volkmar Ebener seinen ersten GA aus. Seitdem ist er täglich im Einsatz und hat viele skurrile Begebenheiten erlebt. Wenn er morgens um zwei Uhr startet, ist er allein in der Stadt unterwegs.

 Seit 27 Jahren trägt Volkmar Ebener jeden Morgen den GA aus.

Seit 27 Jahren trägt Volkmar Ebener jeden Morgen den GA aus.

Foto: Julia Rosner

An diesem Morgen ist es kalt und nebelig auf der Beueler Rheinseite. Während die Autoscheiben von einer zarten Eisschicht überzogen sind, kondensiert die Luft beim Ausatmen. Volkmar Ebener lässt sich davon nicht beirren. Morgens gehört die Stadt ihm, fast allein. Er teilt sie sich nur mit einigen wenigen Taxi- und Lieferfahrern, die schnell an ihm vorbeibrausen.

Seit 27 Jahren ist Ebener als Zeitungsbote für den General-Anzeiger im Einsatz, 25 Jahre davon im „Revier“ Beuel-Mitte, wie er sein Zustellgebiet gern nennt. Einmal habe er einen Freund bei der Arbeit vertreten und blieb dabei. „Das ist wohl die längste Vertretung, die es je gab“, sagt er mit einem Lachen und nimmt währenddessen einen tiefen Zug von seiner Zigarette. Trotz klirrender Kälte und der frühen Zeit – es ist gerade kurz nach zwei Uhr – ist er fröhlich und redselig. Im Laufe seiner Schicht wird er so noch viele skurrile Episoden der vergangenen Jahre erzählen.

An sechs Tagen in der Woche klingelt Ebeners Wecker exakt um 1:30 Uhr. Dann zieht er seine neonfarbene Dienstjacke über und rollt mit dem klappernden Zeitungswägelchen in Richtung Beueler Innenstadt zur Ablagestelle. Hier findet er druckfrisch gut zwanzig verschieden große Zeitungsbündel.

Starre Finger und enge Briefkastenschlitze

Sorgfältig öffnet er jedes Zeitungsbündel mit einer Schere und schaut, ob es Veränderungen auf der Verteilroute gibt. Jeder Block ist vom Verlag genau beschriftet. Darunter befinden sich nicht nur der General-Anzeiger, sondern auch andere Zeitungsausgaben. Nach einem System, das nur er kennt, sortiert er die Gazetten in den Wagen ein. Der 68-Jährige weiß sofort, wo welche Zeitung hinkommt. Nach so vielen Jahren kennt er die Briefkästen genau, die er jeden Morgen befüllen muss. „Die schlimmste ist die ,Zeit’. Die ist viel zu dick.“ Er hat deshalb immer wieder Probleme, die zusammengefaltete Wochenzeitung in schmale Briefkastenschlitze zu stecken. Die Kälte, die die Finger am Morgen immer wieder erstarren lässt, macht es nicht einfacher.

 Roswitha Ebener unterstützt ihren Mann bei der Arbeit.

Roswitha Ebener unterstützt ihren Mann bei der Arbeit.

Foto: Julia Rosner

Sei es drum. Er schiebt sein Wägelchen an und geht die selbe Route wie jeden Morgen – die erste zu Fuß, für die zweite nimmt er das Auto. Die Häuser liegen zu verstreut und zu weit entfernt von der Ablagestelle. Außerdem hatte er hier vor vielen Jahren ein beängstigendes Erlebnis. In der Rheinaue fand er einen Menschen, der sich umgebracht hatte. „Das war furchtbar, aber zum Glück habe ich nur ein einziges Mal so etwas in der Frühe erlebt.“

In flagranti erwischt

Die Dunkelheit am Morgen macht ihm in diesen Tagen dennoch etwas zu schaffen. Die Energiekrise und die Tatsache, dass viele Schaufenster und Straßenlaternen momentan ausgeschaltet bleiben, erschweren seine Arbeit. „Was ich gerade aktuell besonders hasse, sind die E-Roller. Die liegen einfach wild auf den Gehwegen herum. Wenn es dunkel ist, sieht man sie kaum.“ Unebene Straßen sind eine Herausforderung, der er sich mit dem schweren Zeitungswagen stellen muss. Für manche Straßen hat er sich schon eigene Bezeichnungen ausgedacht. Das ist zum einen die „Dunkelstraße“ in Beuel-Mitte oder die „Baumwurzelgasse“ in Ost.

Er kann seiner Arbeit viel Gutes abgewinnen: „Im Sommer ist es traumhaft, wenn ich von weitem den Rhein sehe und den Sonnenaufgang beobachten kann.“ Beobachtet hat er an einem heißen Sommermorgen aber auch schon anderes. An einem Hauseingang sei er einmal unwissentlich einem Liebespaar begegnet. Er habe die beiden in flagranti erwischt. Ebener: „Unter einem Baugerüst hatten die sich wohl unbeobachtet gefühlt.“ Wenn er heute daran denkt, muss er lachen. „Die waren bestimmt noch jung“, witzelt er.

Als er von seiner Begegnung mit einem Eichhörnchen erzählt, das ihm einmal in die Tasche gesprungen sei, fährt ein Linienbus an ihm vorbei. Er winkt dem Fahrer zu – Solidarität unter Schichtarbeitern. „Wenn ich dem Bus in Höhe der Sankt-Josef-Kirche kurz vor vier begegne, liege ich gut im Rennen“, erklärt er.

Unterstützung von der Familie

Immer wieder leistet ihm auch seine Frau Roswitha bei der morgendlichen Runde durch die Stadt Gesellschaft. Wenn der Wecker klingelt, wacht sie häufig mit auf. Der Beziehung scheint das jedoch keinen Abbruch getan zu haben, denn die beiden sind seit 42 Jahren glücklich verheiratet und haben drei erwachsene Kinder. Sie ist es auch, die ihm nach getaner Arbeit, gegen 6:30 Uhr, ein kleines Frühstück bereitet. Anschließend ruht sich Ebener für ein paar Stunden aus. „Bevor ich in den Ruhestand gegangen bin, habe ich am Nachmittag noch im Supermarkt gearbeitet.“ Heute würden die meisten „Feierabende“ jedoch gemütlicher verlaufen.

Wie lang er den Job noch machen will? „So lang es meine Gesundheit zulässt.“ In den vergangenen Jahren sei er selten ausgefallen. Nur einmal, 2022, als er für eine längere OP ins Krankenhaus musste. Seine Philosophie: „Durch die Arbeit spare ich mir das Fitnessstudio. Das ist bezahlter Frühsport.“ Und so lange er Spaß bei der Sache habe, mache er weiter. Trotz Kälte und Dunkelheit. Nur eins würde er sich niemals nehmen lassen: den Sonntagmorgen. Denn dann schläft er bis weit nach zehn Uhr aus und überlässt „seine Stadt“ den anderen.

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