Kollege in Bonn vor Gericht Bewährungsstrafe nach tödlichem Schuss auf Polizisten

Bonn · Nach einem Schießtraining wird der Bonner Polizist Julian Rolf tödlich getroffen - durch die Kugel eines Kollegen. Nun ist das Urteil vor dem Landgericht Bonn gefallen: Der 23-Jährige wurde zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt.

 Der angeklagter Polizist (l) sitzt im Landgericht neben seinem Anwalt Christoph Arnold.

Der angeklagter Polizist (l) sitzt im Landgericht neben seinem Anwalt Christoph Arnold.

Foto: dpa/Rolf Vennenbernd

Die Eltern von Julian Rolf waren früh schon gekommen. Sie, deren Sohn mit 23 Jahren an den Folgen einer Schussverletzung im Polizeipräsidium gestorben war, setzten sich im Gerichtssaal stumm in die noch leere Bank der Nebenkläger. So wie all die anderen Prozesstage zuvor auch. Die Aufgeregtheit der Medienvertreter, das Klicken der Kameras kurz vor dem Urteil, das schienen sie am Montagvormittag in ihrer Welt aus Trauer nicht zu bemerken.

Die Mutter hielt ein Foto ihres Sohnes fest zwischen ihren Händen. Der Vater, ebenfalls Polizeibeamter, wischte sich immer wieder Tränen aus dem Gesicht. Die Eltern waren gekommen, um die Wahrheit darüber zu erfahren, was damals im Bonner Polizeipräsidium wirklich passiert ist. Am 26. November 2018 war der junge Polizist auf dem Weg zum Schießtraining von einem 22-jährigen Kollegen mit der Dienstwaffe in den Nacken geschossen worden. Zwei Wochen später, am 10. Dezember, starb Julian Rolf an den Folgen der schweren Verletzung.

Die 4. Große Strafkammer hat am Montag nach drei Verhandlungstagen die Tragödie zumindest strafrechtlich abgeschlossen: Wegen fahrlässiger Tötung wurde der 23-jährige Schütze zu zwei Jahren Haft verurteilt. Die Strafe wurde gegen eine Auflage von 3000 Euro, zu zahlen an die Polizeistiftung NRW, zur Bewährung ausgesetzt. "Eine vollständige Aufklärung des Unglücksfalls ist nicht möglich gewesen", sagte der Kammervorsitzende Klaus Reinhoff gleich zu Beginn. Der Angeklagte, mittlerweile Ex-Beamter, habe eine Version der Tat geschildert, die nicht stimmen könne. "Sie ist außerhalb jeder Nachvollziehbarkeit." Bis zum Schluss hatte der 23-Jährige beteuert, dass der Schuss ein Unfall gewesen war. Er habe die Walther P99 noch mal überprüft, weil sie angeblich nicht im Holster eingerastet war. Da habe ihn ein Geräusch erschreckt, wodurch er "unbewusst und reflexartig" abgedrückt habe.

Durch objektive Spuren nicht zu widerlegen

Diese Version sei durch objektive Spuren nicht zu widerlegen, hieß es im Urteil. Weder die Entfernung des Schusses, noch die Standorte von Opfer und Schütze konnten sicher festgestellt werden. Aber, so Reinhoff, die Einlassung des Angeklagten sei eine Konstruktion. "Innerhalb weniger Minuten will er sämtliche Polizeiregeln, die ihm antrainiert waren, verletzt haben." Vor allem die wichtigste Vorschrift: Eine schussbereite Waffe ist immer ins Holster zu stecken. Stattdessen will er leichtfertig mit der Waffe in einer Hand zum Schusstraining gelaufen sein, ein geschulter Polizist, der von seinen Kollegen als "verantwortungsvoll" geschildert worden sei und sich nie ein lässiges Fehlverhalten erlaubt habe?

Auch Staatsanwalt Timo Hetzel musste in seinem Plädoyer auf eine Mutmaßung ausweichen: Der Ankläger ging davon aus, dass der Todesschütze "spielerisch" die Waffe auf den Kollegen gerichtet und dabei die rote, nicht funktionsfähige Trainingswaffe mit der schwarzen Dienstwaffe verwechselt hat. "Aus kindlichem Spieltrieb, Machogehabe oder Nachspiel einer Terrorsituation?" Die Antwort ließ der Ankläger offen. Er hatte für den 23-Jährigen wegen der immensen Fahrlässigkeit eine Gefängnisstrafe von drei Jahren Haft gefordert.

Aber auch diese Version hielten die Bonner Richter für wenig plausibel; warum sollte er sich für einen "Spaß" der Kritik seiner Kollegen aussetzen. So präsentierte die Kammer eine drittes, tiefenpsychologisches Szenario: Demnach könnte der Angeklagte nach dem mehrtägigen Antiterrortraining mit seiner Hundertschaft bei einem Geräusch geglaubt haben, "es sei ein simulierter Angriff, dann hat er die Waffe aus dem Holster gezogen und abgedrückt". Es waren keine zehn Minuten vergangen, seit die Truppe noch mit Rotwaffen im Holster trainiert hatte, verletzte Kollegen zu retten. Aber nach dem Wechsel der Waffen am Spind trug der Angeklagte die schwarze Walther in der Hand.

"Was bin ich für ein Idiot", soll der Schütze nach dem Schuss gesagt haben, war sofort zum schwer verletzten Julian Rolf gelaufen, der bewusstlos auf dem Boden lag und stark blutete. "Ich habe gedacht, ich hätte noch die Rotwaffe", soll er einem Kollegen am Tatort gestanden haben. Später hat der Angeklagte erklärt, dass er das nur gesagt habe, "um sich rauszureden". Aber wie sehr die jungen Polizeibeamten durch das sehr fordernde Training psychisch angespannt waren, belegt der Satz eines Zeugen: "Als ich den Schuss hörte, dachte ich: Was haben die sich denn jetzt schon wieder für uns ausgedacht." Er habe eine Weile gebraucht, um zu realisieren, dass das "alles echt war".

Am Schluss wandte sich Richter Reinhoff an die Eltern von Julian Rolf: "Es tut mir leid, dass wir ihnen keine letzte Gewissheit verschaffen konnten, warum ihr Sohn sterben musste."

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