"Der Bundespräsident bittet Sie um Ihre Mitarbeit"

Vielleicht ist es diese wunderbare leichte, transparente Architektur des ehemaligen Plenarsaals, die die Diskussion der rund 600 Teilnehmer beim Bürgerforum 2011 am Samstag beflügelt. Engagiert debattieren sie mehr als vier Stunden lang über gesellschaftspolitische Fragen.

"Der Bundespräsident bittet Sie um Ihre Mitarbeit"
Foto: Barbara Frommann

Bonn. Vielleicht ist es diese wunderbare leichte, transparente Architektur des ehemaligen Plenarsaals, die die Diskussion der rund 600 Teilnehmer beim Bürgerforum 2011 am Samstag beflügelt. Engagiert debattieren sie mehr als vier Stunden lang über gesellschaftspolitische Fragen.

Über veränderte familiäre Lebensformen und den Spagat, Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen. Über Bildung, über den demografischen Wandel sowie neue Formen der Bürgerbeteiligung. Fragen, die die 600 zuvor mit rund 10 000 Bürgern in lokalen Bürgerforen in 25 Regionen Deutschlands via Internet ausführlich behandelt haben.

Die Ergebnisse überreichen sie, verbunden mit konkreten Forderungen nach politischen Reformen, zu Beginn der Veranstaltung Bundespräsident Christian Wulff. Neben bundesweit einheitlichen Bildungsstandards wünschen sie sich etwa Mehrgenerationenprojekte, die das Zusammenleben von Jung und Alt fördern.

Weitere konkrete Forderungen sind: die Kindergartenpflicht ab drei Jahren, eine bessere steuerliche Entlastung von Familien, die Einrichtung von Familienparlamenten, die die Politik in allen Fragen rund um die Familie beraten sollen, sowie die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens. "Machen Sie was draus", fordern sie Wulff auf.

Aus ganz Deutschland sind die Teilnehmer angereist. Sie sind zwischen 18 und 79 Jahre alt. Auch Bonner sind dabei. "Wir wollen Menschen für die Demokratie gewinnen und politisch Aktivsein fördern", erklärt Martin Nixdorf von der Nixdorf-Stiftung.

Er und Gunter Thielen, Vorsitzender der Bertelsmann-Stiftung, sitzen mit Wulff ebenfalls im Bundestags-Rund und diskutieren wie andere namhafte Experten aus Politik und Gesellschaft, darunter Fritz Pleitgen, Ex-WDR-Intendant, und Gerald Häfner, Vorstand von Mehr Demokratie e.V., mit. Auch Bonns Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch hat den Tag für das Bürgerforum reserviert.

"Der Bundespräsident bittet Sie um Ihre Mitarbeit" - als Christa Lenders vor einigen Monaten von einem Mitarbeiter eines Call-Centers diesen Anruf erhielt, glaubte sie zunächst an einen schlechten Scherz. "Ich dachte, da will mir jemand eine Waschmaschine verkaufen", erzählt die 57-jährige Bonnerin. Doch dann informierte sich die Diplom-Pädagogin im Internet über das Projekt und sagte zu. Heute ist sie begeistert: "Das ist eine tolle Sache", sagt sie.

"Ich kann nur jedem raten, sich aktiv in die Politik einzumischen und Verantwortung zu übernehmen." Der Bundespräsident spürt die Begeisterung im Saal. Genau die hatte er sich aus Sorge vor der "wachsenden Kluft zwischen Bürgern und Politik" gewünscht: "Wir tragen gemeinsam die Verantwortung für unseren Staat", sagt er.

Die große Zahl der Teilnehmer an den Bürgerforen zeige , dass viele Menschen bereit seien, sich stärker für die Gesellschaft einzubringen. "Das hat mich verblüfft." Breiten Raum nimmt die Debatte zum Thema Bildung ein. "Bildung darf nicht länger den politischen Ambitionen einzelner Bundesländer überlassen werden", sagt die Lehrerin Ruth Nölske-Walsemann aus Braunschweig unter großem Beifall.

OB Nimptsch pflichtet ihr bei. "Was historisch einmal berechtigt war, ist heute vielleicht überholt", meint der ehemalige Schulleiter. Das reizt Wulff zum Widerspruch. In seiner Brust schlägt noch das Herz eines Landespolitikers: "Die schwierige Frage ist doch, für welches Bildungssystem wir uns entscheiden", sagt er. Zur wohl wichtigsten Frage des Tages, wie es nun weitergeht, erklärt Wulff: "Bürgerforen können unsere repräsentative Demokratie ergänzen." Viele der Vorschläge seien vor allem in den Kommunen umsetzbar.

Meistgelesen
Neueste Artikel
August Macke, Waldrand, Öl auf Leinwand,
Der Macke vom Müll
Neue Folge des Crime-Podcasts „Akte Rheinland“Der Macke vom Müll
Zum Thema
Helge Matthiesen,

zu deutschen Perspektiven und
Auf lange Sicht
Kommentar zu deutschen Perspektiven und dem Krieg in der UkraineAuf lange Sicht
Aus dem Ressort