Interview zu Craft Beer „Der Deutsche trinkt, um voll zu sein“

BONN · Wie steht es eigentlich um die deutsche Bierkultur? Thomas Görtz hat da eine ganz eigene Meinung und watscht die Großen der Branche ab. Der Bonner Getränkehändler ist auf Craft Beer spezialisiert und hat eine mehr als 20-jährige Tradition in diesem Metier.

Der Eingangsbereich hinter der schmucklosen Fassade ist geprägt von Hunderten Sorten Flaschenbier – die Suche, das Entdecken, stehen hier im Vordergrund. Die flachen Räume sind alles andere als modern. Gängige Sorten sucht man nahezu vergeblich.

Seit den 80er Jahren ist der Laden in der Hand von Vater Görtz und später auch seinen zwei Söhnen. Moritz Rosenkranz hat sich mit Thomas Görtz, umringt von Tausenden Litern Alkohol, unterhalten.

Herr Görtz, sie beschäftigen sich seit mehr als 20 Jahren beruflich mit Bier. Läuft man da nicht Gefahr, Alkoholiker zu werden?

Thomas Görtz: Absolut nicht. Als ich von meinem Vater nach meinem Firmeneinstieg den Auftrag bekam, mich mit belgischen Bieren zu beschäftigen fand ich das sofort klasse. Denn die Belgier haben eine viel schönere Trinkkultur, weil sie es mehr als Genussmittel wahrnehmen. Das spiegelt auch mein Verhältnis zu Bier wider. Ich möchte es genießen. Bier bietet dazu viel mehr Variationsmöglichkeiten als Wein, weil man viel mehr experimentieren kann. Der Deutsche hingegen trinkt, um voll zu sein.

Was die deutschen Brauereien doch sicher freut. Die Absätze sind in den vergangenen Jahren konstant geblieben ...

Görtz: Ich war kürzlich in einem holländischen Supermarkt, da sind mir die Augen aus dem Kopf gefallen. Da gab es Warsteiner, 24 kleine Flaschen für 9,49 Euro. Für das Geld würde ich es als deutscher Händler nicht bekommen. Das heißt, die deutschen Brauer wissen überhaupt nicht mehr, wo sie ihr Zeug loswerden sollen, um ihre Kapazitäten zu erhalten. Da machen alle mit: Jeder, der im Fernsehen wirbt, verramscht sein Zeug über den Handel, um ja sagen zu können, dass sie die Größten sind. Eine traurige Entwicklung. Wenn die Brauer nicht aufhören, sich gegenseitig, auch auf Druck der großen Handelsketten, immer weiter zu unterbieten, drohen irgendwann Insolvenzen.

Reden wir mal über das Bier selbst. Da sind die Deutschen doch vorne, oder?

Görtz: Die angesprochenen Fernseh-biere unterscheiden sich doch gar nicht mehr voneinander. Gehen Sie mal davon aus, dass sie bei einer Blindverkostung – wo Sie also nicht wissen, was sie gerade im Glas haben – keines erkennen würden. Als wir bei Facebook bekanntgegeben haben, dass wir diese Biere aus dem Sortiment nehmen, wurden wir teilweise bejubelt nach dem Motto: Endlich macht's mal einer.

Aber das Reinheitsgebot, nach dem alle großen deutschen Biere gebraut werden, wird doch immer stolz hochgehalten ...

Görtz: Das Reinheitsgebot ist für mich eine Farce, denn es ist Kundenverarsche und an sich gar nicht existent, denn es ist nicht, wie oft behauptet, das älteste Lebensmittelgesetz der Welt. Das, was heutzutage ins Bier kommt, wird durch ein Steuergesetz von 1993 geregelt. Und da ist von technisch reinem Zucker und zig anderen Substanzen die Rede. Das hat nichts mit Reinheitsgebot zu tun. Das ist eine Marketingstrategie und ein Mittel, ausländische Brauer vom deutschen Markt fernzuhalten.

Das heißt, wenn ich Bier XY kaufe, ist da oft mehr drin, als draufsteht?

Görtz: Klar. Warum wird Bier pasteurisiert, also durch Erhitzen haltbar gemacht? Warum sind Färbemittel erlaubt, um es dunkler zu machen? Was hat das mit dem Reinheitsgebot zu tun? Bier wird zudem mit einer Chemikalie namens PVPP behandelt, einem Bierklärmittel, das die Schwebstoffe bindet. Das Mittel wird nachher wieder herausgefiltert und muss deswegen auch nicht deklariert werden. Alle großen Brauer arbeiten mit dem Chemiebaukasten. Deshalb fordere ich eine echte und vollständige Deklarationspflicht. Und ganz nebenbei: Ist der Belgier oder Franzose eigentlich sterbenskrank von seinem Bier, das nicht nach dem Reinheitsgebot gebraut wurde? Natürlich nicht.

Wenn Sie das Bier der Großen kritisieren, was sind die Alternativen?

Görtz: Es gibt tolle alte Bierstile wie die Gose etwa. Die ist 1906 im Zuge der Reinheitsgebot-Propaganda vom Erdboden verschwunden. So langsam fangen einige wieder an, sie zu brauen. Fritz Wülfing in Bonn etwa, vor allem aber auch Engländer und Amerikaner. Das Bier basiert auf Milchsäure, es kommen aber auch noch andere Würzstoffe wie Koriander hinein, um das Bier auch mal ein bisschen anders darzustellen.

Das heißt, wenn ich ein handwerklich astrein hergestelltes Naturprodukt möchte, muss ich zu kleinen Brauereien gehen, Stichwort Craft Beer?

Görtz: Richtig. Wobei der eigentliche Ansatz von Craft Beer ja bedeutet, regional zu bleiben. Das ist aber schwierig, weil in Deutschland ja bis vor zehn Jahren niemand Craft Beer gebraut hat und man damit auf Importe angewiesen war.

Was ist denn überhaupt Ihre Definition von Craft Beer?

Görtz: Die gibt es nicht. Es geht im Grunde ja um handwerklich hergestelltes Bier. Ich finde den Begriff aber eher schäbig. Nehmen wir Sierra Nevada, eine Brauerei aus Kalifornien und der Pionier für Craft Beer in den USA, wo das Ganze schon vor 30 Jahren richtig losging. Die sind jenseits der Zwei-Millionen-Hektoliter-Marke mittlerweile, die sind größer als Paulaner, eine der größten deutschen Brauereien. Der amerikanische Brauerbund setzt jedes Jahr den erlaubten Maximaausstoß hoch, damit Biere von Sierra Nevada, Anchor oder Samuel Adams weiter als Craft Beer gelten. Das ist auch nicht sauber gespielt.

In Deutschland liegt der Anteil von Craft Beer geschätzt bei maximal einem Prozent des Gesamtmarktes. Warum?

Görtz: Der Endverbraucher möchte ein Bier, das immer möglichst gleich schmeckt. Das ist bei einem reinen Naturprodukt natürlich nicht so leicht. Wobei manche der 99 Prozent jetzt auch anfangen und sagen, lass uns doch mal was anderes probieren. Das merken aber auch die Großen, deswegen gibt es von Beck's oder Bitburger mittlerweile auch Bier, das mit Craft Beer ausgewiesen ist. Das ist eine ziemlich armselige Geschichte, weil dahinter nur Marketingfuzzis stecken. Gerade Beck's hat über die Muttergesellschaft Anheuser-Busch InBev so viele Anteile an echten Craft-Brauereien in den USA, die könnten ein wunderbares Portfolio hier rüberholen.

Warum gibt es so wenig internationale Biere in Deutschland?

Görtz: Das hat neben dem Reinheitsgebot auch damit zu tun, dass es pro Sorte geschätzt ab 400 Euro kostet, wenn ich ein Bier in Verkehr bringen möchte. Das kann sehr schnell sehr teuer werden. Und als Erstinverkehrbringer haftet man. Das sind hohe Hürden.

Nochmal zurück zu Craft Beer in Deutschland: Wo stehen wir hier?

Görtz: Nahezu an Punkt null. Aber es wird. Wenn wir damit mal fünf Prozent des Marktes abgreifen, dann haben wir echt etwas erreicht.

Sie sagen „Wir“, obwohl Sie gar nicht selbst brauen?

Görtz: Ich zähle mich aber schon zu der Bewegung. Ich würde schon sagen, dass ich für Bonn da eine Lanze gebrochen habe, auch durch die lange Tradition mit den belgischen Bieren. Dadurch war der Sprung für mich, sich auf Craft Beer einzulassen, nicht besonders groß.

Und wann sind die fünf Prozent erreicht?

Görtz: Das dauert noch 10 bis 15 Jahre, mindestens. Der Grund könnte folgender sein: Mir hat mal ein Hopfenbauer einer großen Brauerei gesagt, dass sie mit ihrem Craft Beer den klassischen Weintrinker erreichen wollen, denn der klassische Biertrinker ist ein Säufer. Das hat mir eingeleuchtet, denn durch die Spielmöglichkeiten, die man bei Bier hat, sollte es auch für den Weintrinker möglich sein, sich mal einem Bier zu widmen. Aber das dauert, weil Bier, gerade aus der Dose, als asozial gilt.

Ich trinke Bier aus der Dose deutlich lieber als aus der Flasche ...

Görtz: Ich habe mal mit Fritz Wülfing ein Pilsener Urquell aus der Dose und aus der Flasche getrunken und danach völlig falsch gelegen, weil ich das Flaschenbier für das frischere gehalten hatte, während die Flasche muffig war. Das hat mir die Augen geöffnet. Man muss ja nur mal darüber nachdenken: Eine Dose ist wie ein kleines Fass – kein Licht, keine Luft, gar nichts. Und gerade Licht ist das Tödlichste, was man einem Bier antun kann. Deshalb gehen auch grüne oder weiße Flaschen gar nicht.

Trinken Sie persönlich eigentlich noch Fernsehbiere oder mal ein Kölsch?

Görtz: Nein. Wenn ich mal ausgehe, halte ich mich in der Regel an Cola und Wasser.

So schlimm?

Görtz: Ich mag das einfach nicht mehr. Das ist für mich einfach nur noch Plörre, da bin ich sehr kategorisch. Ich habe auch kein Problem damit, Vertreter der großen Brauereien vor die Tür zu setzen. Der letzte Veltins-Mann, der hier war, hat sich mit „Du Arschloch“ verabschiedet.

Was muss denn aus Ihrer Sicht ein gutes Bier können?

Görtz: Ich möchte wissen, wo was herkommt. Ansonsten möchte ich einfach nur etwas haben, das mundet. Da brauche ich kein Pseudo-Expertengerede à la „das Bier moussiert“ oder „leichte Zitrusnote im Abgang“. Geschmäcker sind unterschiedlich, und Bier muss nur der Person schmecken, die es vor sich stehen hat. Und wenn ein Kunde kommt, der gewisse Vorstellungen hat, rate ich ihm eben ganz undogmatisch zu entsprechenden Sorten. Wenn ich einen Rat geben soll, dann den, dass die Leute sich nicht versteifen, sondern offen sein sollen. Irgendwann hängt einem auch das beste Bier mal zu den Ohren raus, wenn man nur das trinkt.

Haben Sie jedes Bier, das bei Ihnen im Laden steht, selbst probiert?

Görtz: (lacht) Das geht nicht bei 600 bis 700 verschiedenen Marken.

Abschließend: Deutschland gleich Bierland – stimmt das noch?

Görtz: Menge ja, Variation nein – es ist alles in allem ein Bierland, aber ein eher armseliges. Die Brauanlagen, auf denen in den USA gebraut wird, kommen alle aus Deutschland. Nur: Dort haben sie das Bier weiterentwickelt, während wir uns auf dem Reinheitsgebot ausgeruht haben, das ist das Fatale. Der einzige Lichtblick sind die Franken, denn dort wird noch richtig gebraut und nicht nur ein paar Knöpfchen gedrückt.

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